Ullrich Kastner, sind Sie Digital Native oder eher noch digitaler Immigrant?

Eventuell sollte ich das mal Siri oder Alexa fragen! In erster Linie bin ich pragmatischer Anwender sinnvoller Lösungen. Diese können digital, analog oder einfach menschlich sein. Hauptsache es ergibt sich ein Mehrwert.

Plötzlich organisieren Sie HTFs in allen möglichen europäischen Ländern. Wie kommen Sie dazu?

Es ging vor zweieinhalb Jahren in Berlin mit 20 Startups los. Wir haben alle zusammengelegt, hatten sofort drei bis vier top Speaker und über 200 Teilnehmer. Da ich kein Eventorganizer bin, habe ich mit diversen Hotelverbänden der Hotrec zusammengearbeitet. Ich liefere das Konzept, die Startups und die Moderation. Die Verbände organisieren den Event und die Teilnehmer. Eine super nicht profitorientierte Symbiose, die nun in der Schweiz, Frankreich, Island und Griechenland Anwendung findet.

Unternehmer mit Schweiz-Erfahrung
Ullrich Kastner arbeitet seit 1996 in der Hotellerie. Seine Wege kreuzten Hilton, Accor, Tripadvisor, Unister und Trivago. Seine Ausbildung in Hospitality Management absolvierte der 43-jährige Deutsche teilweise am César Ritz College in Brig. Im Januar 2012 gründete er die Myhotel­shop GmbH als geschäfts­führender Gesellschafter. Seit Anfang 2017 organisiert Kastner das Hotel Technology Forum in verschiedenen Ländern Europas. Die Schweizer Ausgabe trägt die Bezeichnung «Hospitality Technology Forum» und wird in Zusammenarbeit mit der Fachzeitung htr hotel revue durchgeführt.

Was ist dieses Jahr neu an dem zusammen mit der htr hotel revue durchgeführten Schweizer HTF?

Neben klassischen Startups messen sich diesmal auch etablierte Firmen in einem eigenen Battleground. Der Event heisst hier «Hospitality Technology Forum», also muss Technologie ganzheitlich abgebildet werden. Dazu gehören auch Firmen, die schon lange am Markt sind. Vorausgesetzt, sie stellen Innovationen vor, die sie innerhalb der letzten rund 18 Monate neu auf den Markt gebracht haben.

Was ist das Besondere an der Schweizer Ausgabe?

Bereits das erste HTF in Baden fand enormen Anklang. In anderen Ländern habe ich noch nicht erlebt, dass auf einen Schlag 250 Leute für ein neues Konzept Interesse zeigen. Das hat mich beeindruckt. Ich arbeite schon länger mit Schweizer Hotels zusammen und merke generell, dass es in der Schweizer Hotellerie ein relativ grosses «First-Mover»-Spektrum gibt. Aber auch inhaltlich gibt es eine Schweizer Besonderheit: Der Startup-Mix ist hierzulande sehr international. Diese Mischung aus Internationalisierung und Lokalisierung ist sehr spannend im Gegensatz zum Ausland.

Das Programm ist erneut sehr dicht.

In anderen Ländern haben wir zum Teil ein noch volleres Programm, von 
9 bis 18 Uhr. In der Schweiz scheint man grösseren Wert darauf zu legen, Programme nicht zu überfrachten. Deswegen halten wir es dieses Jahr etwas kürzer – aber dafür etwas intensiver.

Inwiefern?

Ich möchte nicht, dass sich das Publikum von einer 45-minütigen Keynote nach der anderen berieseln lässt. Wir wollen kurze, spannende Auftritte. Aber klar: Wenn die Programmpunkte kurz sind, dann steht gleichzeitig mehr auf der Agenda. Wir versuchen, mit einer dynamischen Moderation und der Bildung von Themenschwerpunkten dagegenzu­halten. Trotzdem wird das Publikum gefordert sein. Aber einmal für sechseinhalb Stunden aus der ­Komfortzone auszubrechen, das hält man aus.

Viele Anglizismen und technische Begriffe erschweren die Konzentration. Sie sprachen in diesem Zusammenhang auch schon von «Bullshit Bingo». Was meinen Sie damit?

«Bullshit Bingo» ist gerade in der ­Technikwelt weit verbreitet. Artificial Intelligence, Blockchain, Big Data – 
die Speaker werfen gerne mit grossen Begriffen um sich. Hierin liegt die Herausforderung einer guten Moderation: zu erklären und nachzufragen, damit sich die Leute nicht einfach mit oberflächlichem Geschwätz als cool verkaufen können. Die Hoteliers erwarten am HTF Lösungen, die sie sofort anwenden können. Ich bin selbst Hotelier – und habe ein sehr feines Gespür für Bullshit. Ich hoffe, die Besucher des HTF werden davon profitieren.

Als zusätzlicher Bullshit-Filter fungiert die Jury. Letztes Jahr gab es noch deren drei. Warum jetzt nur noch eine?

Wir wünschen uns mehr Konstanz bei der Bewertung der Startups. Zwar entscheidet am Ende das Publikum über die Sieger. Trotzdem hat die Jury einen ­gewissen Einfluss. Einheitliche Bewertungskriterien sind fairer gegenüber allen, die auf der Bühne bewertet werden.

Bei den Publikumsabstimmungen gab es im vergangenen Jahr Ungereimtheiten …

Beim letzten HTF konnte das Publikum mithilfe eines Online-Tools über die Sieger abstimmen. Im Nachhinein haben wir festgestellt, dass zum Teil mehr Stimmen abgegeben wurden, als Leute im Raum sassen.

Was ging da vor sich?

Startups sind kreativ. Über Twitter lassen sich Abstimmungsaufrufe schnell verbreiten. Ich will niemandem etwas unterstellen, aber in Zukunft stimmen wir wieder per gutem alten Handzeichen ab.

An Veranstaltungen wie dieser verfügt das Publikum oft bereits über ein gewisses technisches Vorwissen. Ist das HTF nur etwas für Cracks?

Nein. Es werden gerade auch Basis­themen behandelt. Zum Beispiel für jene, die ein neues Property Management System brauchen, oder eine Buchungsmaschine für die eigene Website – das sind Dinge, die auch Hoteliers, die bislang noch nicht auf der digitalen Welle schwimmen, irgendwann angehen müssen. Es gibt genügend Markterhebungen, die zeigen, dass die Hotellerie auf dieser Ebene noch unterdigitalisiert ist.

Und was ist mit den «First Movern», die Sie eingangs erwähnten?

Für sie treten natürlich auch Firmen auf, die fortgeschrittene Produkte vorstellen. Diesen Drahtseilakt müssen wir hinbekommen, sodass es für beide Seiten spannend ist. Aber das HTF soll gerade für die noch nicht so Digitalisierten interessant sein. Wir hoffen, dass sich das unter den Hotels inzwischen herumgesprochen hat. Letztes Jahr kamen die First Mover, dieses Jahr kommen die Follower, in drei, vier Jahren haben wir hoffentlich auch die Schläfer erreicht. Alle Hoteliers – ob gross oder klein – können sich am HTF mit Sicherheit sehr gute Impulse holen.

Das zweite HTF wird also nicht das letzte gewesen sein?

Das will ich schwer hoffen. Allerdings sind wir ein Startup-Event. Wir spulen nicht jedes Jahr das Gleiche ab. Wir müssen Jahr für Jahr ein paar neue Impulse setzen. Das wollten wir mit dem HTF von Anfang an erreichen, und daran müssen wir uns 
auch selber messen lassen.