Klaus Wellershoff, es ist jetzt 10 Uhr morgens. Haben Sie die Börsenkurse schon gecheckt?
Das gehört zu meinem Beruf, da muss ich schon mit einem Auge immer hinschauen.

Welche Aktie macht heute am meisten Freude?
Die einzelnen Aktien interessieren mich nicht, ich muss wissen, was die Börse insgesamt macht.

Der Wirtschaftserklärer – live am Summit 
 
Klaus Wellershoff ist einer der profiliertesten Ökonomen der Schweiz. Am 12. Juni spricht er über die aktuellen Wirtschaftsentwicklungen und die Konsequenzen für die Hotellerie.

Freuen Sie sich ausserdem auf die Auftritte von KI-Professor Thilo Stadelmann, die Hotelier-Legenden Marco Nussbaum und Klaus Kobjoll und viele andere mehr.

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Für die Aktienmärkte ging es lange nur aufwärts. Jüngst haben die Börsen zwar etwas korrigiert. Hat sich da eine Blase gebildet, oder ist genau die jüngste Korrektur eine Gelegenheit, jetzt auch noch auf den Zug aufzuspringen?
Wer Geld zum Anlegen hat, sollte investiert sein und dann nicht gross hin und her springen. Die Entwicklung der vergangenen Monate würde ich nicht als Blase bezeichnen. Blasen sind Situationen, in denen man Dinge kauft, von denen man weiss, dass sie nichts wert sind, aber man hofft, sie zu einem höheren Preis weiterverkaufen zu können. So ist die aktuelle Situation ja nicht. Schauen Sie sich die grossen Technologiefirmen in Amerika an. Die haben die Märkte vorangetrieben und verdienen richtig Geld. Wir haben heute eine ganz andere Situation als am Ende des letzten Jahrhunderts. Damals haben die Übertreibungen zum Platzen der Dotcom-Blase geführt. Heute ist schon einiges mehr an Realität drin als vor 25 Jahren.

Weniger Arbeitszeit und eine geringere Produktivität bedeuten einen tieferen Lebensstandard.

Also alles im grünen Bereich?
Was die Märkte meiner Meinung nach noch nicht richtig begriffen haben, ist die Zinsfrage. Das Zinsniveau ist höher, und die höheren Zinsen führen dazu, dass nicht nur die Kosten der Unternehmen steigen, sondern dass die für die Zukunft erwarteten Erträge heute weniger wert sind. Das heisst, dass die Börse in den nächsten Jahren womöglich mit einem erheblichen Gegenwind zu rechnen hat. 

Sind erste Böen heute schon zu spüren?
Hoteliers merken es wahrscheinlich in der Finanzierung der Hotels auch. Es ist ja nicht nur der zwei, drei Prozent höhere Zins für den Kredit, den man zahlen muss. Sondern das, was nach der Rechnerei bei einer Investitionsrechnung am Schluss herausschaut, hat sich sehr verändert. Das ist ein grosses Problem.

Dies oder das?

Bitcoin oder Gold? 
Gold 

Bier oder Wein?
(Zögert sehr lange, ringt offensichtlich um eine Antwort) Das kommt total darauf an. Also gut: zum Apéro gerne Bier. Um zum Nachtessen Wein. Und noch etwas: zu Austern immer Bier, keinen Wein. 

Wie bitte?
Ich kann das nur empfehlen. Das Dümmste, was man machen kann, ist, zu Austern etwas Saures zu nehmen. Es geht einzig um die Geschmackskomponente. Ein Herrgöttli reicht da vollkommen.

Franzosen schwören auf Champagner zu Austern.
Das Saure zerstört doch den ganzen Geschmack der Auster.

Andere tröpfeln Zitronensaft drauf ... 
(Schlägt die Hände über dem Kopf zusammen und stöhnt) Zwiebeln gehen genauso wenig. Da schmeckt man ja gar nichts anderes mehr. Das nächste Mal bestellen Sie ein Bier zu den Austern und geniessen beides in memoriam Klaus Wellershoff. (lacht) Danach können Sie so viel Champagner trinken, wie Sie mögen.

Ich werde beim nächsten Frankreich­aufenthalt an Sie denken.

Beyoncé oder Bach? 

Bach. Nicht weil ich ein grosser Klassikfan wäre. Bruce Springsteen zum Beispiel würde ich Bach vorziehen.

Berge oder Meer? 
Ich finde die Berge wahnsinnig schön. Aber ich komme ja aus Norddeutschland. Als junger Mann bin in der Marine zur See gefahren und habe ein Jahr lang auf dem Schiff gelebt. Ausserdem bin ich «Äquator-getauft», habe also dieses Ritual bei der ersten Äquatorüberquerung erlebt. Die See fehlt mir schon ein bisschen.

Fisch oder Vogel? 
Eher Fisch. Einzig zu Weihnachten, da muss die Gans auf den Tisch.

Börsen im Gegenwind, da sagt sich doch der clevere Laie: Ich investiere jetzt in Bitcoin. Der erklimmt immer neue Höhen.
Ich habe nichts gegen Luxus und Übertreibung. Man darf einfach nicht glauben, dass es nachhaltig ist. Wenn ich mir ein Wochenende in einem schönen Schweizer Hotel gönne, dann weiss ich, dass es nicht nachhaltig ist. Ich geniesse es und weiss aber auch, dass das Geld danach weg ist.

Ich sehe, Professor Wellershoff und der Bitcoin werden keine Freunde fürs Leben. Lässt sich eigentlich aus Börsenkursen oder Finanzdaten etwas über die Entwicklung der Wirtschaft herauslesen? 
Die Antwort lautet klar Nein. Zahlreiche wissenschaftliche Studien zeigen, dass die Aktienmärkte keinerlei brauchbare Prognosefähigkeit besitzen. 

Aber wenn die Kurse raufgehen, deutet das doch auf eine gute Stimmung in den Märkten hin?
Natürlich, die Stimmung ist keineswegs unwesentlich für die Konjunktur. Aber wenn Sie genau hinschauen, wann die Börsenkurse rauf sind und wie oft danach die Konjunktur tatsächlich besser geworden ist – nun ja. Ein Kollege von mir hat mal gesagt, der Aktienmarkt habe konsistent sieben der letzten drei Rezessionen vorhergesagt. Will heissen: Es ist schlicht absurd, aus der Börsen-entwicklung Prognosen ableiten zu wollen.

Und trotzdem wird genau das auf unzähligen Kanälen zelebriert. Sind Börsenexperten die Auguren der Neuzeit?
Das Ganze hat etwas von Storytelling. In der Steinzeit haben die Älteren am Lagerfeuer ihre Geschichten erzählt. Heute sind es die Börsenjournalisten oder die Bankökonomen, die uns zu erklären versuchen, was da draussen passiert. Das hat Ähnlichkeit mit religiösen Aktivitäten. Ein Börsenapéro, also die Veranstaltung mit einem Referenten, der uns sagt, wo die Börsenkurse hingehen, hat doch viel Ähnlichkeit mit der Predigt in der Kirche. Die dabei erzählten Geschichten haben etwas Repetitives, genau wie in der Kirche.

Sehen Sie weitere Parallelen?
Börsenapéros können sehr unterhaltend sein, genau wie die Predigt in der Kirche. Also da sehe ich schon Parallelen. (schmunzelt)

Vom Big Picture in die Schweiz: Wie würden Sie die wirtschaftlichen Herausforderungen für die Hotellerie im Jahr 2024 beschreiben?
Es gibt ganz viele betriebswirtschaftliche Herausforderungen, die die Hotellerie unheimlich stark treffen. Das hat sehr viel mit den veränderten Kundengewohnheiten zu tun, mit der Digitalisierung oder der Technologisierung unseres Einkaufs. Das reicht von der Einkaufsplattform bis hin zur Frage, wie mein Angebot aussieht – Losgrösse eins.

Was meinen Sie damit?
Damit meine ich, dass jeder Kunde ein wahrhaftig individualisiertes Angebot bekommt. Das geht mittlerweile unglaublich weit: Hotels experimentieren damit, dass der Kunde sein eigenes Menü zusammenstellen kann, inklusive Portionen­grösse. Aber ich bin ja nicht vom Fach, ich bin nur fasziniert von solchen Entwicklungen.

Erzählen Sie von Ihrem Fach.
Mein Fach sind die grossen makroökonomischen Bewegungen, und da bleibt der Wechselkurs ein Thema. Wir sind stolz darauf, dass wir in der Schweiz mit Abstand die tiefste Inflationsrate haben in der aktuellen Episode. Das wird im Vergleich zu den wichtigen Nachbarländern so bleiben. Und damit müssen wir mit einer weiteren Aufwertung des Frankens rechnen.

Das geht mir jetzt ein klein wenig zu schnell.
Die Inflationsdifferenz ist wichtig. Wenn wir zwei Prozent weniger Inflation haben als das Ausland, dann wertet sich der Franken langfristig um zwei Prozent auf. Das ist eine der wenigen ökonomischen Theorien, die wirklich funktionieren. Interessanterweise ist sie auch die älteste – sie stammt aus dem 16. Jahrhundert. (lacht)

Die sichere Insel Schweiz wird für inländische Gäste weiter an Attraktivität gewinnen.

Was heisst das nun konkret für den Unternehmer?
Es bedeutet, dass wir mittelfristig mit 80 Rappen pro Euro und auch 80 Rappen pro Dollar rechnen müssen. Das wird eine grosse Herausforderung. Eine weitere Herausforderung ist die Frage nach den Fachkräften. Da sind wir mit mehreren groben Trends konfrontiert. Und hier meine ich explizit nicht die Demografie. 

Sondern?
Das grosse Thema ist die Frage der Leistungsbereitschaft der arbeitsfähigen Bevölkerung. 

Genau diese Frage hat in den vergangenen Wochen und Monaten in der Branche für heftige Diskussionen gesorgt.
Ich würde diese Diskussionen sehr ernst nehmen. Es sind ja nicht nur die Jüngeren, die weniger arbeiten wollen, uns Babyboomern geht es ja genauso. Der Trend zu tieferen Teilzeitbeschäftigungsverhältnissen und aber dann– wenn man Vollzeitäquivalent rechnet – auch zu weniger Arbeitsstunden pro Jahr ist extrem stark.

Ist das denn so schlimm?
Die Demografie ist vielleicht zu einem Prozent für die Abnahme der Erwerbsbevölkerung in den vergangenen sechs, sieben Jahren verantwortlich. Die Verkürzung der Arbeitszeit hingegen ist sicher um den Faktor vier bedeutsamer. Das ist ein Riesenproblem.

Die ‹Erlösung› durch die Digitalisierung würde ich als Hamsterrad beschreiben.

Warum stellt die Politik das Problem dann nicht zur Diskussion?
Die Menschen wollen ja weniger arbeiten. Welcher Politiker wird den Leuten sagen: Sorry, ihr kriegt nicht das, was ihr wollt? Wer es trotzdem tut, riskiert seine Wiederwahl.

Bisher haben wir die fehlende Arbeitskraft durch Zuwanderung recht gut im Griff.
Durch Zuwanderung und durch höhere Teilnahme am Arbeitsmarkt, das stimmt. Die Beschäftigung ist auch deutlich schneller gewachsen als die Produktion. Wenn wir aber die Produktivität nicht in den Griff bekommen, haben die Menschen immer weniger Geld, um Dienstleistungen, also zum Beispiel Hotelübernachtungen, zu kaufen.

Malen Sie jetzt nicht ein wenig den Teufel an die Hotelwand?
Der Lebensstandard ist das, was man sich leisten kann. Und das hängt einzig von der Produktivität mal Arbeitszeit ab. Weniger Arbeitszeit und eine geringere Produktivität bedeuten einen tieferen Lebensstandard. Das ist ein ökonomischer Albtraum. Gerade in der Hotellerie haben wir in den letzten Jahren einen sehr starken Trend in Richtung einer qualitativ höherwertigen Leistung erlebt. Da gibt es grossartige Entwicklungen zu konstatieren. Allerdings stellt sich die Frage, ob wir nicht am Markt vorbeiproduzieren, wenn auf der einen Seite der Franken für die ausländischen Gäste immer teurer wird und wir anderseits die Tausenden von Betten mit inländischen Gästen füllen sollten, deren Lebensstandard sinken wird. Die sinkende Leistungsbereitschaft trifft uns also gleich doppelt, nämlich im Arbeitsmarkt und im Absatzmarkt.

Inwiefern beeinflussen die anhaltenden Konflikte in Nahost und der Ukraine direkt den Tourismussektor in der Schweiz?
Ich glaube, die Attraktivität der Fernreise nimmt durch diese Konflikte ab. Vergessen wir zudem Asien nicht. Noch ist es dort ruhig, aber die Lage ist angespannt.

Wie sehen Sie die Entwicklung in Deutschland, einem der wichtigsten Märkte für die Schweiz?
Deutschland schwächelt konjunkturell, aber auch dort stellt sich die Frage der Produktivität und der mittelfristigen Wohlstandsentwicklung. Zumal der Staat noch hungriger ist als bei uns. 

Was müsste sich dort ändern?
Wir machen keine Politikberatung, deshalb antworte ich Ihnen nicht auf diese Frage.

Und wenn ich die Frage dem Volkswirtschaftsprofessor statt dem Unternehmer Wellershoff stelle?
Die Deutschen haben ein massives Problem mit dem Verständnis ihres Staates. Das ist während Covid noch schlimmer geworden. Alle wollen ihre Probleme von «Vater Staat» gelöst bekommen. Die Differenz zwischen Brutto- und Nettogehältern ist mit die höchste unter den Industrienationen. Der Anstieg der Lohnnebenkosten hat zu einer Verarmung des Mittelstandes geführt. Das ist deprimierend und macht nicht viel Mut, was die Reisebereitschaft der potenziellen Gäste betrifft. 

Muss sich der Tourismus in der Schweiz Sorgen machen?
Ich glaube, die sichere Insel Schweiz wird für inländische Gäste weiter an Attraktivität gewinnen. Wir waren alle überrascht, wie sehr das während Corona durchgeschlagen hat. Aber auch die ausländischen Gäste sehnen sich nach einer heilen, sorgenfreien Welt. Diesen Bonus wird die Schweiz wohl auch künftig behalten. Wer Ferien von der kaputten Welt machen möchte, der wird in der Schweiz Ferien machen. Darauf kann der Ferientourismus bauen.

Wie steht es um die asiatischen Märkte?
Alle grossen Schwellenländer Asiens haben die gleiche Entwicklung durchgemacht, in der China jetzt drin ist. Die erfolgreichen – Japan, Korea, Taiwan, Singapur, Hongkong – haben alle eine Phase hoher Wachstumsraten gehabt, die aus einer ganz einfachen Tatsache heraus entstanden ist: dass sie in der Lage waren, immer mehr vom Volkseinkommen wieder zu investieren. Das geht so lange gut, wie man die Investitionsquote anheben kann. Und die Chinesen haben das staatlich geplant extrem gemacht. Bis 2012 haben sie mehr als die Hälfte des Volkseinkommens reinvestiert. 

Es ist schlicht absurd, aus der Entwicklung der Börse Prognosen ableiten zu wollen.

Was heisst in diesem Zusammenhang investieren?
Investieren bedeutet neue Kapazitäten, mehr Produktivität. Aber irgendwann ist der Investitionsanteil so gross, dass die Konsumentinnen und Konsumenten nicht mehr genug abbekommen vom Volkseinkommen. Das kippt immer.

Und die Folgen?
Was dann folgt, ist immer eine längere Phase einer ganz schwachen Konjunktur. Ich rede von sieben bis zehn Jahren. Chinas Präsident Xi Jinping hat versucht, sich dagegenzustemmen, indem er die Verschuldung hochgeblasen hat. Deswegen ist China heute das am höchsten verschuldete Schwellenland aller Zeiten. China geht jetzt gerade die Luft aus beim gescheiterten Versuch, diesen Einbruch der Wachstumsraten zu verhindern.

Welche Konsequenzen hat das für uns konkret?
China steckt in einer mehrjährigen Konjunkturkrise. Deshalb bin ich pessimistisch, dass die chinesischen Gäste in den kommenden Jahren wieder zum Wachstumstreiber unseres Tourismus werden. Es dürfte noch einige Jahre dauern, bis sich das Blatt wendet.

Zumal die chinesische Regierung den Binnentourismus unterstützt. Das Volk soll sein Geld im eigenen Land ausgeben.
Konjunkturkrisen münden in Schwellenländern oft in politische Krisen. Der chinesischen Regierung ist es gelungen, grosse Teile der Bevölkerung am Aufschwung teilhaben zu lassen. Jetzt stellt sich die Frage, wie lange es ruhig bleibt, wenn es nicht mehr viel zu verteilen gibt.

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Wenn Sie uns nun schon die Hoffnung auf den baldigen touristischen Aufschwung aus China nehmen, dürfen wir dann die Erlösung in der Digitalisierung erwarten?
Diese «Erlösung» würde ich als Hamsterrad beschreiben. Das Grundprinzip der Wettbewerbsgesellschaft ist, dass man versucht, die Kundenbedürfnisse optimal zu befriedigen. Ich bin überzeugt, dass man Digitalisierung immer vom Kunden her denken muss. Die Frage muss also lauten: Was bringt es dem Kunden? Und ausgehend von der Antwort gilt es, neue Wege zu finden und Lösungen zu entwickeln.

Wie stehen Sie persönlich zur Digitalisierung?
Als ich die Bankenlehre gemacht habe, musste ich noch händisch Blättchen in Kontomäppchen einsortieren. Die Banken sind dann sehr schnell Weltmeister in der Digitalisierung ihrer internen Prozesse geworden. De facto aber sind viele Banken auf der Kundenseite noch immer Steinzeitwesen. Wenn das E-Banking gut läuft, sind sie glücklich. (lacht) 

Was also bräuchte es?
Für jeden Anbieter im Markt gilt: Überlege, wie du dein Angebot für deine Kunden möglichst spannend und bequem machen kannst. Und für die Hotellerie müsste man wohl noch den Begriff «verlockend» hinzufügen. Aber man sollte sich keinen Illusionen hingeben: Erfolge sind immer nur temporär, denn die Innovationen kommen regelmässig. Man muss sie im Blick behalten, prüfen, implementieren, anpassen, ersetzen und so weiter.

Das klingt anstrengend.
Ist es auch. Und teuer dazu. Wer nicht mit der Zeit geht, geht mit der Zeit bachab und ist irgendwann nicht mehr im Geschäft.

Wechseln wir von der Digitalisierung zur Demografie. Glauben Sie, dass dieser Wandel Auswirkungen hat auf Hotellerie und Tourismus?
Nun, es gibt ja Nischen, in die ein Hotel reingehen kann. Altersspezifische Angebote mit Wellness, Kuren und medizinischen Dienstleistungen können durchaus funktionieren. Man sollte dann aber schon achtgeben, dass aus dem Hotel nicht plötzlich ein Krankenhaus wird. (lacht) Ein anderer Effekt des demografischen Wandels zielt auf die Diversität der Gäste.

Wie meinen Sie das?
Die Gesellschaften sind heute nicht zuletzt durch die Zuwanderung vielfältiger als früher. Nehmen Sie die Ärzteschaft als Beispiel. Das ist heute längst nicht mehr der alteingesessene Chefarzt, der seit Jahren im gleichen Hotel absteigt. Das sind Frauen und Männer aus Indien, aus Polen oder Portugal. Mit diesen soziodemografischen Veränderungen muss sich vor allem auch die Schweizer Hotellerie auseinandersetzen.

Wie sehen Sie die Zukunft der Luxushotellerie?
Dazu gibt es zwei Antworten. Die erste: Ich habe immer gedacht, Luxushotels seien so etwas wie Fussballklubs. Die kauft man sich, wenn man reich ist. Und dann macht man damit Verlust. Die zweite Antwort: Es gibt löbliche Ausnahmen. Die können ganz klar davon profitieren, dass es eine immer grösser werdende Gruppe von sehr vermögenden Menschen auch in Ländern ganz weit draussen in der Welt gibt. Diese Leute sind neugierig, was die Welt angeht, und möchten in einem schönen Umfeld Zeit verbringen. Und an einem schönen Umfeld mangelt es uns in der Schweiz ja nicht. 

Eine der wenigen ökonomischen Theorien, die wirklich funktionieren, stammt aus dem 16. Jahrhundert.

Dann haben die familiengeführten Hotels, die nicht die gleichen Mittel zur Verfügung haben wie die grossen Luxushäuser, das Nachsehen. 
Das sehe ich nicht so. Viele sehr wohlhabende Menschen sind selbst Unternehmer. Sie wissen, was es heisst, von Grund auf etwas aufzubauen. Deshalb denke ich, dass eine bewusste Positionierung als «Wir sind familiengeführt – so wie dein Unternehmen» durchaus erfolgreich sein kann. 

Was würden Sie raten?
Ich bin kein Marketingexperte, aber es gibt doch zu diesem Thema zwei Weltsichten. Die eine ist die McDonald’s-Sicht: Ich gehe immer an den gleichen Ort, weil ich weiss, dass ich dort immer das Gleiche bekomme. Von dieser Haltung profitieren die grossen Ketten. Und dann gibt es die zweite Haltung, die sagt: Ich glaube an individuelle Unternehmen. Ich bin offen und neugierig. Kommt dazu: Wo entstehen denn neue Arbeitsplätze, wo entstehen neue Technologien? Zu Beginn fast immer in familien­geführten Unternehmen.

Welchen Bezug haben Sie persönlich zur Schweizer Hotellerie?
Wir machen relativ konsequent wenig Auslandurlaube. Wir sind sehr familienorientiert, deswegen kommen für uns Thailand, die Malediven – diese ganzen Ferndestinationen – nicht infrage. Skiferien haben wir natürlich immer in der Schweiz gemacht. 

Darf ich fragen, wo Sie in der Schweiz Ferien machen?
Solange die Kinder klein waren, sind wir jahrelang nach Adelboden gefahren, in ein familiengeführtes Hotel. Und als die Kleinen dann grösser wurden, war Arosa unsere Destination. Aber mit vier erwachsenen Söhnen mit Schwiegertochter und Freundinnen haben wir auch schon ein Haus gemietet. (lacht)

In Adelboden und Arosa haben Sie also Ihre ganze Ferienzeit verbracht?
Fast, aber nicht ganz. Meine Frau und ich haben beide an der Universität St. Gallen studiert. Die Ostschweiz hat uns schon immer sehr gut gefallen. Irgendwann haben wir gesagt: Wir brauchen etwas als Mittelpunkt für die Familie, und haben dann vor vielen Jahren im Kanton Appenzell-Inner­rhoden ein altes Bauernhaus erworben. Da können wir die ganze Familie unterbringen. Unser Lebensmittelpunkt ist aber immer noch die Stadt Zürich. Wir sind beide Stadtmenschen. Und wir zahlen gerne Steuern. (lacht)

Zur Person
Professor Klaus Wellershoff (* 1964) ist CEO und Verwaltungsratspräsident von Wellershoff & Partners. Er gründete die Boutique-­Beratung 2009 und berät Banken, Vermögensverwalter und Family-Offices in Fragen rund um das Anlagegeschäft. Zuvor war Klaus Wellershoff zwölf Jahre Chefökonom zunächst des Schweizerischen Bankvereins und dann der UBS.

Er unterrichtet Nationalökonomie an der Universität St. Gallen und bekleidet eine Reihe von Stiftungs- und Verwaltungsratsfunktionen in Wissenschaft, Kultur und Sport. Wellershoff ist verheiratet und Vater von vier erwachsenen Söhnen.