Thomas Winkler, wann schauen Sie morgens zum ersten Mal auf Ihr Smartphone?

Ich stehe zwischen 6.15 und 6.30 Uhr auf, und dann nehme ich bei einem Kaffee das erste Mal das iPhone hervor und orientiere mich über News, checke E-Mails und manchmal noch die Entwicklungen an den Börsen.

Ist das Smartphone die bis jetzt wichtigste Erfindung des 21. Jahrhunderts?

Ja, kaum etwas hat das alltägliche Leben so sehr verändert. Das Smartphone wurde zum Motor für die breite Digitalisierung. Der Erfolg liegt in der schmerzfreien intuitiven Bedienbarkeit und den breiten Anwendungsmöglichkeiten der mobilen Geräte.

Thomas Winkler ist seit 20 Jahren Mitglied der Geschäftsleitung von Schweiz Tourismus. In seiner Rolle als Leiter Digitalmanagement prägte Winkler die Tourismusorganisation massgeblich mit und ist mitverantwortlich für die digitale Pionierrolle, die Schweiz Tourismus heute innehat. Der diplomierte Informatik-Ingenieur war zuvor unter anderem knapp sechs Jahre für das Softwareunternehmen Oracle tätig. Am 5. Juni 2020 wird Winkler Schweiz Tourismus verlassen. Nach einer Auszeit will er sich mit seiner eigenen Firma WinklerDigital selbstständig machen. Der gebürtige Winterthurer feiert dieses Jahr seinen 60. Geburtstag sowie den 30. Hochzeitstag mit seiner Frau.

Letzten Herbst sagten Sie an einer Veranstaltung: «Man muss die Trends erkennen und nicht jedem Hype hinterherlaufen.» Sie sind jetzt seit 20 Jahren Digitalchef bei Schweiz Tourismus. Was war der grösste Hype, dem Sie nicht hinterhergelaufen sind?

Noch in bester Erinnerung ist «Second Life» im Jahr 2007. Die Plattform erlebte einen riesigen Hype, viele und namhafte Firmen investierten massiv in den Aufbau in der Parallelwelt. Damals wurde ich von allen Seiten mit Anfragen bombardiert, in welcher Form wir diese Plattform nutzen würden. Ich hatte mir selbstverständlich auch ein Log-in zugelegt, aber mich hat diese Plattform nie überzeugt, da ich für die Schweiz keinen touristischen Nutzen erkennen konnte. Wir sind deshalb nicht aufgesprungen. Eine ähnliche Geschichte wiederholte sich übrigens 2016 mit «Pokémon Go».

Nach mehrjähriger Arbeit wurde die Website von Schweiz Tourismus letztes Jahr neu lanciert. 2019 gewann ST dann prompt den World Travel Award für den weltweit besten Onlineauftritt. Von wem haben Sie abgekupfert?

Den World Travel Award für die «World’s Leading Tourism Authority Website» haben wir nach 2012 nun bereits zum zweiten Mal gewonnen, worauf wir ganz besonders stolz sind. Wir hatten bei der Entwicklung kein direktes Vorbild. Wir orientieren uns teilweise an den Webprojekten innerhalb der Tourismusbranche, aber noch viel mehr an den besten Web- und E-Commerce-Lösungen weltweit. Zum Beispiel haben wir Ideen von Zalando adaptiert oder die Kartenansicht von Airbnb als Benchmark genommen und versucht, das Map-Modul noch besser als das Vorbild zu implementieren.

Kleine und mittlere Schweizer Tourismusorganisation können ressourcentechnisch nicht mit ST mithalten. Ist es überhaupt sinnvoll, dass jede Destination einen eigenen Webauftritt pflegt? Sollte nicht vielmehr ST dies den kleineren abnehmen, und die lokalen Partner konzentrierten sich stattdessen auf die Produktentwicklung?

Wir hatten mit «MySwitzerland for You» seit 2002 ein Angebot, bei dem wir unsere Plattform für unsere touristischen Partner anboten. So hatten wir auf unserer Technologieplattform für über 120 Destinationen und Regionen den Webauftritt realisiert und betrieben. Da aber bald die Anforderungen der Destinationen für ihre Webplattform immer individueller wurden, kamen wir mit der Subsidiaritätsauflage des Bundes in Konflikt. Deshalb mussten wir uns von dieser eigentlich zielführenden Dienstleistung 2014 geordnet zurückziehen. Heute nutzen diverse Destinationen unsere Plattform mit einem Redirect für die Abdeckung der exotischen Sprachen.

Schweiz Tourismus muss es vielen Stakeholdern recht machen. Sinkt damit nicht die Relevanz für den Nutzer? Warum sollte man zur Inspiration auf MySwitzerland.com gehen anstatt beispielsweise zu Tripadvisor?

ST hat den Grundauftrag, das gesamte touristische Angebot in der Schweiz auf unserer Plattform aufzubereiten und einfach zugänglich zu machen. Diese Aufgabe wird und kann niemals ein kommerzielles Portal übernehmen. Ich plädiere seit je stark dafür, die Hoheit über den Content zu behalten, damit man sich nicht in eine völlige Abhängigkeit von globalen Plattformen begibt. Tripadvisor finde ich eine sehr nützliche Plattform, aber ich sehe den Mehrwert eher in Services und Informationen vor Ort. Ich selber nutze die Tripadvisor-App vor allem für die Restaurantsuche. Für Aktivitäten oder Erlebnisse bietet sie mir zu wenig.

Wer entscheidet eigentlich, welche Angebote mir auf MySwitzerland.com angezeigt werden und welche nicht?

Wir müssen unterscheiden zwischen Grundauftrag und Marketingkampagnen. Der Grundauftrag deckt das ganze touristische Angebot der Schweiz ab, der Content wird von unseren Schweiz-Experten aufbereitet. Bei den Kampagnen entstehen die Inhalte zusammen mit unseren Kampagnenpartnern und werden auch durch sie geprägt.

Wenn ich die Website besuche, wie werde ich getrackt?

Wir erkennen die IP-Adresse des anfragenden Geräts, Datum und Uhrzeit des Zugriffs, aus welchem Land der Besucher kommt. Damit können wir ihm marktspezifische Angebote anzeigen. Wir erkennen das Betriebssystem sowie die Spracheinstellungen des Browsers, damit die Website automatisch in der gewünschten Sprache angezeigt wird. Zudem werden die Website, von der aus der Zugriff erfolgte, und der Click-Path mit den besuchten Seiten erkannt. Wir halten uns natürlich an alle Auflagen der Datenschutzgrundverordnung.

Benutzen Sie persönlich beim Surfen Werbe- oder Tracking-Blocker?

Nein, aber ich teste immer wieder derartige Tools, um zu prüfen, wie sich eine Website bei deren Einsatz verhält.

Bereitet Ihnen als Privatmann die Datensammlerei keine Sorgen?

Aufgrund meines Jobs bin ich mir natürlich der Datensammlerei der verschiedenen Plattformen bewusst. Als Internetnutzer kann man diese kaum verhindern, da viele Plattformen nur aufgrund von Daten so gut funktionieren und dem Benutzer einen Mehrwert bieten können. Je mehr tolle «Gratis»-Services man nutzt, desto mehr gibt man von sich preis. Die umfassenden Funktionen beispielsweise von Google Maps inklusive Navigation, Stauwarnungen, Streetview, Reisebegleitung, Öffnungszeiten usw. bezahlt man nicht mit Abogebühren, sondern mit persönlichen Daten.

Wie weit sollten Angebote und Preise personalisiert werden?

Im Gegensatz zu Dynamic Pricing, bei welchem der Preis durch äussere Kriterien definiert wird, halte ich von personalisierten Preisen nichts, da vermeintlich Reiche einfach stärker zur Kasse gebeten werden. Ein fiktives Beispiel: Wenn ich mit einem älteren Computer über einen Internetprovider in Deutschland eine Reise bei einem deutschen Anbieter ansehe und dieselbe Reise über mein Macbook beim gleichen Anbieter via Schweizer Internetprovider besuche, erhalte ich zwei unterschiedliche Preise für exakt das gleiche Angebot. Dafür habe ich kein Verständnis.

MySwitzerland.com wendet also kein personalisiertes Pricing an?

Auf unserer Website haben wir zurzeit die Inhalte nur für die einzelnen Märkte personalisiert. Das heisst, jemand, der aus dem Vereinigten Königreich auf unsere Website zugreift, sieht andere Angebote als jemand, der von den USA aus die Inhalte abruft. Wir arbeiten jedoch momentan an einem Projekt für A/B-Testings, welches die Grundlage bietet, unseren umfassenden Web-Content auch auf die Besucherbedürfnisse individuell zu personalisieren.

Was denken Sie, ist der wichtigste digitalen Trend der kommenden Jahre?

Für mich steht künstliche Intelligenz (KI) oder besser gesagt «Machine Learning» derzeit ganz oben auf der Trendliste. Ich sehe insbesondere grosses Potenzial bei automatisiertem Digitalmarketing, bei der Bildbearbeitung, im CRM als Chatbot oder, wie oben erwähnt, beim personalisierten Pricing. Obwohl sich heute noch viele dagegen wehren, sind Sprachassistenten Symptome einer Trendwelle. Bereits heute schon verschicken viele Nutzer über Whatsapp lieber Sprach- als Textnachrichten. Suchanfragen über Sprachassistenten haben Konsequenzen für die Konzeption von Websites: Inhalte müssen so aufbereitet sein, dass Alexa oder Google Home sie vorlesen können. Unternehmen sollten ihren Produkten online Gehör verschaffen.