Martin Nydegger, nach der Veröffentlichung der neuesten Zahlen von Schweiz Tourismus titelte die NZZ «Der Tourismus floriert, aber die Branche will nicht feiern». Ist dem so?
Wir freuen uns über den Zuwachs an Hotellogiernächten, sind uns aber bewusst, dass die Analyse tiefer greifen muss als eine simple Rekordmeldung. Erstens sind die Frequenzen eindimensional und verbergen wichtige Aspekte wie Erträge, Kosten und damit die Profitabilität. Zweitens ist das Logiernächte-Wachstum zwar positiv, aber mit 2,6 Prozent moderat. Im Vergleich zu anderen Exportbranchen ist dieser Wert sogar niedrig. Drittens darf der nationale Wert nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich die Märkte und Regionen stark unterscheiden. Nicht alle Destinationen und Herkunftsmärkte verzeichnen positive Entwicklungen.
Der Trend hat sich bestätigt: Die USA bleiben der wachstumsstärkste Markt (+13,9 %). Die Reisefreude der Amerikaner scheint ungetrübt, trotz innenpolitischer Turbulenzen?
Eigentlich dachten wir, ganz gemäss unserer Erfahrung, die Amerikanerinnen und Amerikaner seien im Wahljahr 2024 so sehr mit sich selbst beschäftigt, dass sie weniger reisen. Das ist nicht eingetroffen. Das Land ist sehr resilient. Gleichzeitig hat sicher auch die Beteiligung der amerikanischen Vail Resorts an Andermatt und Crans-Montana einen positiven Effekt. Letztlich haben auch unsere amerikanischen Co-Stars an der Seite von Roger Federer in unseren Werbespots etwas zum Erfolg beigetragen.
Dann sind Sie nicht gegen ausländische Investoren im Tourismusland Schweiz?
Das Beispiel Vail Resorts – aber auch internationale Hotelübernahmen – zeigt: Investoren bringen nicht nur Kapital in unseren Tourismus, sondern auch neue, andere und für uns spannende Gästesegmente sowie eine grosse Sichtbarkeit in für uns vielversprechenden Communities. Gerade im Wintertourismus, wo wir international noch zulegen dürfen. In diesem Sinne profitieren etwa Andermatt und Crans-Montana von neuen US-Gästen.
Geht der Wachstumstrend für Nordamerika weiter?
Wir haben derzeit keine Anzeichen, dass sich die Beliebtheit des Ferienlands Schweiz in den USA massgeblich verändern sollte. Die Wirtschaft floriert selbst mit einer turbulenten politischen Führung. Ich glaube jedoch nicht, dass die Wachstumsrate im zweistelligen Bereich weitergeht und gehe deshalb von einer etwas flacheren Wachstumskurve aus für die Zukunft.
Das Logiernächte-Wachstum ist zwar positiv, aber mit 2,6 Prozent moderat.
Mit Blick auf den arabischen Markt ist ein Rückgang zu bemerken. Welche Gründe sehen Sie hierfür?
Vorab möchte ich hier immerhin auf den Erfolg unseres grössten Markts innerhalb der arabischen Golfstaaten hinweisen: Saudi-Arabien hat 2024 ein Plus von 6 Prozent – gesamthaft 327'000 Hotellogiernächte – erreicht. Bei den anderen Golfstaaten gab es beispielsweise visumsbedingte Schwächen oder Engpässe bei der Hotelverfügbarkeit. Zudem dürfen wir auch die Effekte der heisseren Sommermonate in Europa nicht vergessen: arabische Gäste sind bereits auf Hitzeflucht und weichen dann auf kühlere Gegenden ausserhalb von Mitteleuropa aus. Schliesslich macht sich ein zunehmend stärkeres Konkurrenzumfeld im näher gelegenen Asien bemerkbar.
Inwiefern?
In Asien boomt das touristische Angebot regelrecht. China hat die Pandemie genutzt, um massiv in die eigene Infrastruktur zu investieren und sich als attraktive Tourismusdestination zu etablieren. Auch Japan profitiert touristisch vom schwachen Yen. Die Flugkapazitäten im Osten werden signifikant erweitert, mit neuen Flugzeugflotten, der Eröffnung grosser Flughäfen und zusätzlichen Flugrouten. Im Mittleren Osten und Asien zeigt sich derzeit eine beeindruckende Dynamik.
Tourismus boomt weltweit. Wie gelingt es uns, uns gegen die globale Konkurrenz durchsetzen?
Zuallererst, auch wenn es von ST kommend wenig überraschend scheint: jetzt bloss nicht das Marketing zurückfahren! Der Erfolg der Branche entstand nicht zufällig, sondern ist das Resultat harter und fantastischer Arbeit am Produkt, im Service und in der Kommunikation. Zwei Faktoren sind für den Schweizer Tourismus erfolgsentscheidend: Erstens ein breit diversifizierter Märktemix, der Schwankungen ausbalanciert und Marktpotential erschliesst. Zweitens heisst das Konzept der Zukunft: «Travel Better» mit seinen fünf Aktionsfeldern: die Förderung des Ganzjahrestourismus, die Lenkung der Gästeströme, die Verlängerung der Aufenthaltsdauer, das Vorantreiben des nachhaltigen Tourismus unter dem Banner «Swisstainable» sowie die Stärkung der Tourismusakzeptanz vor Ort.