Selbst Jon Pult, der als Parteipräsident der Bündner Sozialdemokraten an vorderster Front gegen eine Kandidatur Graubündens kämpfte, findet nach gewonnener Schlacht positive Worte zu Olympia: «Im Abstimmungskampf beteiligten sich viele Leute an der Diskussion über die Zukunft des Kantons und entwickelten zahlreiche Ideen.»
Er anerkenne, dass die ganze Diskussion Graubünden «nicht schlecht getan» habe. Zudem hätten die Promotoren mit dem Konzept für Nachhaltigkeit, Innovation und Vermächtnis (NIV) interessante Ansätze eingebracht, die vor Olympia nicht mehrheitsfähig gewesen seien. «Es wird sich allerdings noch zeigen, ob das nur Propaganda war oder eine ehrliche Bekenntnis.»
Pizzoccheri-Graben spaltet Graubünden
Ähnlich tönt es von Pults Gegenspieler Christian Gartmann vom Trägerverein derOlympia-Kandidatur: «Graubünden hat sechs Monate lang seine Zukunft diskutiert. Hoffentlich geht das auch nach dem Nein weiter.»
Für den Zusammenhalt des Kantons zieht Gartmann ein durchzogenes Fazit: Die Olympia-Diskussion habe Hoteliers und Unternehmer näher zusammengebracht, nicht aber die Bevölkerung. Das Abstimmungsresultat zeige einen «Pizzoccheri-Graben», der sich quer durch Graubünden ziehe.
Als bleibendes Resultat der Aktivitäten des Trägervereins Graubünden 2022 könnte das NIV-Konzept durchaus weiterbestehen, findet Gartmann. Bereits hätten Organisatoren anderer Grossveranstaltungen Interesse daran signalisiert.
Das gleiche gelte für das Verkehrskonzept. Möglicherweise könne es am eidgenössischen Jodlerfest 2014 in Davos zum Einsatz kommen, wo ähnliche Zuschauerzahlen erwartet werden wie an Olympischen Winterspielen.
Gezählt sind hingegen die Tage des Trägervereins. Er wird geordnet aufgelöst. Das Budget von 5,4 Millionen Franken wird voraussichtlich nicht ganz ausgeschöpft. Die Gelder stammten zu je einem Drittel von Bund, von Swiss Olympic und aus Graubünden. Die sieben Beschäftigten müssen sich neu orientieren.
Risse in Wirtschaftskreisen
Kritisch äussert sich der Direktor des Bündner Gewerbeverbandes, Jürg Michel. Zwischen Davos und St. Moritz sei die Wirtschaft zwar zusammengerückt. Wo Verbandsmitglieder aber ein Nein in die Urne legten, seien Risse entstanden. «Wir müssen nun schauen, dass es in unseren Kreisen keine Spaltung gibt», sagte Michel.
Dennoch könne von den gescheiterten Olympia-Plänen etwas positives übrigbleiben. Es komme aber stark auf den Willen der Akteure an.
Der Bündner Volkswirtschaftsdirektor und Olympiabefürworter Hansjörg Trachsel ortet positive Effekte im Tourismus: «Olympia hat gezeigt, dass der Bündner Tourismus zusammenarbeiten muss und dass er das kann. Zwischen Touristikern habe sich eine gewisse Solidarität gezeigt, wenn auch nicht überall.»
Die durch den NIV-Prozess angestossenen Projekte für eine nachhaltige Entwicklung des Kantons seien aber vom Tisch. «Wir haben ohne Olympia keine Mittel dafür», sagte Trachsel. Es liege nun bei der Politik, einzelne Ideen aufzunehmen. Man werde sehen, ob im Kantonsparlament entsprechende Vorstösse lanciert werden. (sjp/sda)