«Ich starte gerne mit Sport in den Tag», sagt Manuela Angst. Die Leiterin von Bern Welcome sitzt in einem pinkfarbenen Kleid in einem ihrer Lieblingscafés – im Berner Casino. Dieses liegt mitten in der Stadt, und wenn die Platanen auf der Terrasse noch nicht dicht mit Blättern bewachsen sind, hat man von hier aus sogar eine phänomenale Sicht auf Eiger, Mönch und Jungfrau.
Früher war ihr Morgensport jeweils eine Joggingrunde, vor ein paar Jahren kam etwas Neues dazu: «Ich habe das Bootcamp entdeckt», sagt die Touristikerin begeistert. «Wenn es hoch kommt, stehe ich dreimal pro Woche in aller Herrgottsfrühe auf und bin um 6.15 Uhr in Trainingszeug und Turnschuhen parat.» Egal wie kalt, egal welches Wetter. «Es tut gut, schon am Morgen etwas für mich gemacht zu haben», sagt sie. So kann sie sich am Feierabend in aller Ruhe bis spät in ihre Schreibtischarbeit vertiefen.
Vom ländlichen Zürcher Säuliamt in die gemütliche Hauptstadt
Ihre Liebe zum Sport hat sie von zu Hause mitgekriegt. Sie ist mit zwei Geschwistern in Mettmenstetten in der Nähe von Affoltern am Albis aufgewachsen. «Im Winter ging es am Samstagmittag nach der Schule jeweils sofort rauf in die Berge, auf die Biberegg in Schwyz zum Skifahren», erinnert sie sich. Im Sommer war dann oft Wandern angesagt. Noch heute hält sie sich gerne in der Natur auf. «Das ist in Bern ideal – du bist sofort im Grünen.»
Vor 32 Jahren ist Manuela Angst nach Bern gezogen. «Ich kam wegen der Ausbildung und blieb wegen der Arbeit und der Liebe.» Die Jobs änderten sich, die Liebe verflog wieder, doch die Zürcherin blieb der Bundesstadt treu. «Das Berner Lebensgefühl hat mich hierbehalten», sagt sie begeistert. «Die Menschen sind herzlich, die Stimmung ist warm, ich mag die Vielfalt von Restaurants und Cafés, das reiche Kulturangebot und das viele Grün.» Ob sie nun im Rosengarten die Aussicht geniesst, der Aare entlangspaziert oder durch die Altstadt flaniert: «In Bern gibt es immer etwas zu entdecken.»
Ich blieb wegen der Arbeit und der Liebe. Heute bin ich durch und durch Bernerin. Bloss den Dialekt habe ich nicht angenommen.
In ihrer Freizeit trifft sie sich am liebsten mit Freunden – zum Essen, zum Apéro, im Theater oder an Vernissagen. Mittlerweile ist sie durch und durch Bernerin. «Bloss den Dialekt habe ich nicht angenommen», sagt sie und lacht. Und wer die Bernerinnen und Berner kennt, der weiss, dass viele ihre liebe Mühe mit Zürich haben und dies gerne bekunden.
«Natürlich werde und wurde ich wegen meines Dialekts manchmal auf die Schippe genommen.» Als sie vor zehn Jahren für die Stadt Bern als Leiterin Beziehungspflege und Repräsentation im Erlacherhof arbeitete, wurde sie schon mal entgeistert gefragt, was sie denn als Zürcherin hier mache. Doch sie liess sich davon nicht aus der Ruhe bringen: «Ich bin resilient.»
[IMG 3]Das Handwerk von der Pike auf gelernt – eine Praktikerin an der Spitze
Die Zürcherin stand schon früh im Arbeitsleben. Nach der Realschule hat sie eine Lehre in einem Gasthof in Affoltern am Albis gemacht, im «Baur au Lac» in Zürich gearbeitet und mit 21 Jahren die Hotelfachschule Thun absolviert. Später wechselte sie von der Gastronomie zur Swisscom. Dort organisierte sie unter anderem Anlässe und nahm an Messen repräsentative Aufgaben wahr.
Sie findet, dass sie der Gastronomiebranche treu geblieben ist: «Ich hatte in meinen Jobs vielfach die Rolle der Gastgeberin inne.» So auch später bei der Stadt Bern und beim Swiss Economic Forum in Thun. Was ihr dort besonders gefiel: «Ich kam mit unterschiedlichsten Leuten in Kontakt – von unerfahrenen Jungunternehmerinnen bis zu Persönlichkeiten wie Kofi Annan.»
Happiger Start geradewegs ins Lockdown
Vor gut zwei Jahren hat die 53-jährige Wahlbernerin die Leitung von Bern Welcome übernommen. Der Start war happig: Kaum zwei Monate im Amt, folgte der erste Lockdown, der Umsatz brach komplett ein. Vor allem das Ausbleiben der Businessgäste schmerzte: Sie machen in der Bundesstadt drei Viertel der Logiernächte aus. Doch nicht nur das war schwierig. Das Unternehmen hatte turbulente Zeiten hinter sich.
2017 war Bern Welcome als neue Destinationsmanagement-Organisation und als Nachfolgerin von Bern Tourismus gegründet worden. Neu sind hier Akteurinnen und Akteure aus Tourismus, Gewerbe, Hotellerie und Gastronomie unter einem Dach vereint. Das Ziel: den Standort Bern besser zu positionieren. Zudem wurde der Aktionsradius um das Gantrischgebiet und die Regionen Laupen, Emmental und Oberaargau erweitert.
Obwohl mit viel Enthusiasmus verkündet, war die Neuausrichtung kein Selbstläufer. Statt Erfolgsmeldungen machten unschöne Schlagzeilen zu internen Querelen die Runde. Manuela Angsts Vorgänger wurde entlassen, es folgte ein öffentlicher Schlagabtausch. Bei ihrem Start im Januar 2020 war da nicht nur die Corona-Krise: «Ich musste die neue Unternehmensstrategie umsetzen und Altlasten bereinigen», erzählt sie.
Finanzielle Herausforderung Pandemie
Es blieb eine Weile turbulent: Aus der Geschäftsleitung gab es vier Abgänge, und der neue Leiter Kommunikation blieb nur sechs Monate. Mittlerweile hat sich die personelle Situation beruhigt. Doch finanziell ist Bern Welcome angeschlagen. 2020 erlitt das Unternehmen einen Verlust von 2 Millionen Franken. Grund dafür sei einzig die Pandemie, erklärt Manuela Angst.
Mit À-fonds-perdu-Beiträgen des Kantons, einem Darlehen der Stadt Bern und der Unterstützung von weiteren Aktionärinnen und Aktionären konnte das Loch teilweise gestopft werden. Der Verlust ist kein Grund, an sich zu zweifeln. Denn: «Ich mag neue Herausforderungen. Sonst wird es mir langweilig», meint Manuela Angst mit einem entspannten Lachen im Gesicht.
«Als CEO muss man immer wieder viel aushalten.»
Aber: «Als CEO kommen dann die schlaflosen Nächte.» Sie versteht ihre Aufgabe jedoch nicht als One-Woman-Show. «Ich brauche das Team. Man ist nicht alleine, sondern im Team erfolgreich.» Ist man als CEO auch einsam? «Ja», kommt ihre Antwort schnell. «Als CEO muss man immer wieder viel aushalten.» Was tut sie, wenn zu viele geschäftliche Probleme und Aufgaben im Kopf rotieren? «Sport hilft immer», sagt sie. Ob es nun Joggen, Velofahren oder Skifahren ist.
Sich durchsetzen statt einknicken
Manuela Angst ist eine der wenigen Frauen in der Schweizer Tourismusbranche auf einem Chefsessel. Sie ist keine Vollbluttouristikerin, sie hat vielfältige berufliche Erfahrungen in Hotellerie, Gastronomie, im Marketing und Kongress- und Eventbusiness gesammelt – ein Know-how, das bestens zu Bern Welcome passt, das hauptsächlich Destinationsmanagement betreibt. [DOSSIER]
Musste sie denn als Frau mehr kämpfen, um sich behaupten zu können? «Nein», sagt sie. «Ich sehe es eher so: Man muss seinen Platz einnehmen, egal ob nun als Frau oder als Mann.» Immer wieder erlebt sie aber diese typischen Situationen in der männlich geprägten Berufswelt. Etwa wenn man als einzige Frau an einem Meeting sitzt. «Bei der Frage, wer das Protokoll schreibt, gehen die Blicke meistens zur Frau», erzählt sie. «Dann sage ich aber einfach Nein.» Das müssten Frauen halt lernen: nicht nachgeben, bloss weil es von ihnen erwartet werde.
«Wir müssen unsere Frau stehen, und wir dürfen uns nicht verstecken.»
Während ihrer Laufbahn habe sie ihre Vorgesetzten auch schon fragen müssen: «Redest du nun so mit mir, weil ich eine Frau bin? Oder würdest du auch mit einem Mann so sprechen?» «Oft ist diese Haltung gegenüber uns weiblichen Mitarbeitenden nicht böswillig, es ist halt einfach eingeübt – wir sind so sozialisiert.» Die Frauen sollten sich aber nicht den Männern angleichen: «Wir müssen unsere Frau stehen, und wir dürfen uns nicht verstecken.»
So hat sie manchmal Freude daran, als Frau aufzufallen, und trägt immer mal gerne Kleider in knalligen Farben. Ihren Sinn für Pragmatismus und ein gesundes Selbstvertrauen hat sie von zu Hause mitgekriegt: Ihre Mutter war zeitlebens selbstständig mit einem eigenen Nähatelier zu Hause, während ihr Vater als Zimmermann und SAC-Hüttenwart tätig war.
Wohnen im lauschigen Quartier, der Arbeitsweg ein Highlight
Manuela Angst wohnt in einem alten Backsteinhaus im Berner Kirchenfeldquartier, ihr Partner wohnt in seiner eigenen Wohnung, Kinder hat sie keine: «Irgendwie hat das nie in meinen Lebensplan gepasst.» Das ist ihr Naturell: Sie tobte schon als Kind lieber draussen herum, als dass sie mit Bébéwägeli gespielt hätte. Ihr Arbeitsweg bietet ihr jeweils ein Highlight, nämlich dann, wenn sie über die Kirchenfeldbrücke spaziert. «Die Sicht von hier aus ist schlicht einmalig, das ist Erholung pur.»
Ob die Strategie von Bern Welcome, das auf einen nachhaltigen, bevölkerungsverträglichen Tourismus mit Gästen aus dem Inland und dem nahen Ausland setzt, tatsächlich aufgeht, wird sich weisen. Die Optimistin Manuela Angst ist davon überzeugt. «Die Pandemie hat es gezeigt: Verantwortungsvolles Reisen, regionale Produkte und bleibende Erlebnisse sind immer gefragter.»
Steckbrief Manuela Angst
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- Alter: 53
- Beruf: Vorsitzende der Geschäftsleitung von Bern Welcome
- Was ich mag: das Gegenteil meines Nachnamens: Lebensfreude, Optimismus, Lachen, geselliges Beisammensein und Bewegung an der frischen Luft
- Was ich nicht mag: Menschen, die ständig nörgeln und alles negativ sehen
- Was ich werden wollte: Olympiasiegerin im Riesenslalom
- Was ich verpasst habe: nichts
- Darüber muss ich lachen: über mich
- Auf diese Eigenschaft könnte ich verzichten: auf meinen Hang zum Perfektionismus
- Im nächsten Leben werde ich…: Ich weiss es nicht, denn es wird ohne mich stattfinden.