Viele Betriebe im Gastgewerbe suchen händeringend nach Personal. Vor allem Fachkräfte sind gesucht. Schaut man sich aber gängige Indizes zum Arbeitsmarkt an, so ist von Mangel an Personal im Gastgewerbe keine Spur. Der neue Fachkräftemangel-Index von Adecco vermittelt den Eindruck, dass im Gastgewerbe ein deutliches Fachkräfteüberangebot besteht. Aufgrund dessen fragte sich das Boulevardblatt «Blick» im November sogar, ob die Schweizer Gastronomen zur Personalsituation «Käse erzählen» würden.
Die Zahlen aus den Indizes widerspiegeln die Wirklichkeit jedoch nicht. «Sie passen überhaupt nicht zur Situation, wie wir sie tagtäglich erleben», sagt Marc Walter vom Verband HotellerieSuisse. «Wir sehen und hören es überall: Es fehlt Personal, vor allem qualifiziertes.»
Neue Studie, neue Erkenntnisse, neuer Index
Doch die offiziellen Zahlen sagen etwas anderes. Warum diese Diskrepanz? Die Antwort darauf gibt eine neue Studie des Büros für arbeits- und sozialpolitische Studien (Bass). Sie zeigt das Hauptproblem der drei bekanntesten Fachkräfteindizes auf. Dabei handelt es sich um das Indikatorensystem des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco), den Fachkräftemangel-Index der Universität Zürich und der Adecco-Gruppe Schweiz sowie den Fachkräfteindex des Beratungsbüros BSS.
Alle drei Indizes benutzen als Grundlage die Arbeitslosenquote. Diese unterscheidet aber nicht zwischen Fach- und Hilfskräften. Vereinfacht gesagt sagen die drei Indizes aus, dass bei einer hohen Zahl Arbeitsloser viele potenzielle Arbeitskräfte vorhanden sind und ergo der Fachkräftemangel tief ist. Dies gibt aber ein verzerrtes Bild der Realität. Denn längst nicht alle Stellensuchenden sind auch Fachkräfte.
Qualifiziert oder nicht, das macht den Unterschied
Die Bass-Studie zeigt nun, dass viel weniger Fachkräfte für das Gastgewerbe verfügbar sind, als die Arbeitslosenquote dies glauben lässt. Das Forschungsteam hinter der Studie hat einen neuen Index Fachkräftemangel entwickelt und dabei die Arbeitslosenquote für Fachkräfte berechnet.
Die Untersuchung zeigt, dass im Gastgewerbe weniger als ein Drittel der Arbeitslosen Fachkräfte sind. Die Branche hat im Vergleich zu anderen Wirtschaftszweigen bei den Stellensuchenden sogar den tiefsten Anteil an ausgebildetem Personal.
Die Studie macht zudem deutlich, dass das Rekrutierungspotenzial für Fachkräfte in den vergangen zehn Jahren im Gastgewerbe überproportional abgenommen hat.
Im Sommer 2022 waren nur noch 30 Prozent der Arbeitslosen im Gastgewerbe Fachkräfte. Mehr als zwei Drittel der Stellensuchenden kommen also für Betriebe, die Fachkräfte suchen, aufgrund ihrer fehlenden Qualifikation von vornherein nicht infrage.
«Die Resultate überraschen uns nicht. Sie sind sehr wichtig für die Branche.»
Marc Walter
Datenspezialist, HotellerieSuisse
Bei Gastrofachkräften lag die Arbeitslosenquote im Sommer 2022 auf unter zwei Prozent – der Arbeitsmarkt ist also ausgetrocknet. Dies steht im grossen Gegensatz zu den Zahlen, die der Seco- und der Adecco-Index vermitteln.
Die hohen Arbeitslosenquoten in einzelnen Branchen sind damit in erster Linie auf einen hohen Anteil an Nichtfachkräften zurückzuführen. «Wir sind vom Resultat nicht überrascht», sagt Marc Walter. «Dass nun diese deutlichen Zahlen vorliegen, ist sehr wichtig für die Branche.»
Die Politik muss handeln, und zwar schnell
Der Index des Seco zum Fachkräftemangel hat handfeste Auswirkungen auf die Branche. Der Bund leitet daraus arbeitsmarktliche Massnahmen ab und legt den Betrieben Verpflichtungen auf, wie etwa die Stellenmeldepflicht: Bevor eine Stelle öffentlich ausgeschrieben werden kann, muss sie dem RAV gemeldet werden. Laut Statistik ist das Rekrutierungspotenzial ja gross. Die aktuelle Bass-Analyse widerlegt dies. Den Arbeitgebern im Gastgewerbe entsteht administrativer Aufwand mit wenig Nutzen für die Stellenbesetzung.
24
Prozent der Betriebe haben Rekrutierungsschwierigkeiten. Das Gastgewerbe liegt damit massiv höher als alle anderen Branchen.
50
Prozent aller Arbeitslosen sind Fachkräfte. Im Gastgewerbe sind es nur 30 Prozent.
71
Prozent der Arbeitnehmenden im Gastgewerbe sind beruflich gut qualifiziert. Es ist die Branche mit dem tiefsten Fachkräfteanteil.
HotellerieSuisse ist auch auf politischer Ebene aktiv. «Es braucht eine stimmige Grundlage, damit die politischen Entscheide branchengerecht gefällt werden können», so Marc Walter. Gestützt auf die Erkenntnisse aus der Studie fordert HotellerieSuisse nun eine realitätsnähere Erfassung des Fachkräftemangels im Gastgewerbe. So unterstützt der Verband das Postulat «Fachkräftemangel so erfassen, wie er in KMU tatsächlich besteht» von Mitte-Nationalrat Fabio Regazzi. Es fordert, dass das Seco und das Bundesamt für Statistik mit der Wirtschaft eine realitätsnahe Berechnungsweise des Fachkräftemangels erarbeiten.
HotellerieSuisse setzt sich für weitere pragmatische Lösungsansätze ein, um den Fachkräftemangel zu mindern. So sollen Spezialistinnen und Spezialisten aus Drittstaaten, die in der Schweiz einen Abschluss der höheren Berufsbildung erworben haben, hierzulande einfach und unbürokratisch arbeiten dürfen, wo nachweislich entsprechender Bedarf besteht. Bisher können nur Drittstaatenangehörige mit Schweizer Uniabschluss von Ausnahmeregelungen und dem erleichterten Zugang zum Schweizer Arbeitsmarkt profitieren.
Nationalrat Mustafa Atici hat im vergangenen September eine entsprechende Motion eingereicht, die vom Verband unterstützt wird. Zudem arbeitet HotellerieSuisse an weiteren Lockerungen für die Rekrutierung von Drittstaatenangehörigen. Mit der angespannten Fachkräftesituation in ganz Europa wird es unumgänglich sein, neue Quellen für qualifizierte Fachkräfte zu erschliessen.