Lange Zeit galten die Alpen als bedrohlich und unwirtlich. Sagen erzählten von Dämonen und bösen Geistern, die auf den Gipfeln und in den schroffen Tälern hausen. Dass die Bergwelt auch ihre schönen Seiten hat, dieses Verständnis entstand erst im Zuge der Romantik. Dichter, Maler und Komponisten schufen Werke, in denen die Berge als Ort der Sehnsucht, der Kraft und der Schönheit dargestellt werden.
Im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert machten sich auch erste Exkursionen auf den Weg, die Bergwelt zu erkunden. Damals war das Bergsteigen aber keine Freizeitbeschäftigung wie heute. In der Regel standen die naturwissenschaftliche Forschung oder das Vermessen im Zentrum, etwa als 1786 der Arzt Michel-Gabriel Paccard und der Kristallsucher Jacques Balmat als erste auf dem Mont Blanc standen, 1800 bei der Erstbesteigung des Grossglockners und als der Schweizer Naturforscher Johann Rudolf Meyer zusammen mit seinem Bruder Hieronymus 1811 die Jungfrau und damit den ersten Viertausender der Schweiz erklommen.
Den Berg erleben, statt ihn zu erforschen
Das Goldene Zeitalter des Alpinismus begann allerdings erst mit der Erstbesteigung der Dufourspitze im Jahr 1855. In dieser Epoche wandelten sich auch die Motive für die Hochtouren. Im Zentrum standen auf einmal nicht mehr die Forschung und Erkundung, sondern das Bergerlebnis an sich. Die Bergsteiger der damaligen Zeit waren oft Intellektuelle und Akademiker.
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Rasch entwickelte sich aus dem Bergsteigen ein Wettkampf; Erstbesteigungen wurden zu einer Art Trophäe. Eine Nationalität tat sich in dieser Hinsicht besonders hervor: die Engländer. Sie gründeten 1857 den Alpine Club, den ersten Bergsteigerverein der Welt.
Grindelwald und Zermatt gehörten schon damals zu den wichtigsten Orten fürs Bergsteigen. Oft waren es Einheimische, die die Engländer auf die Alpenriesen begleiteten. So entstanden 1857 in Grindelwald und 1858 in Zermatt die ersten Bergführervereinigungen der Schweiz.
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1863 bekam dann auch die Schweiz ihren eigenen Alpen-Club. Der von Rudolf Theodor Simmler in Olten gegründete SAC setzte sich nicht nur zum Ziel, den Alpinismus populär zu machen, sondern wollte vor allem auch erreichen, dass das Feld nicht ausschliesslich ausländischen Vereinen überlassen wird. Die Gründung war ein voller Erfolg: Zu den 35 Gründungsmitgliedern kamen binnen eines Jahres über 300 Neumitglieder dazu.
Der SAC setzte sich für eine verbesserte Infrastruktur am Berg ein – bereits 1863 wurde mit der Grünhornhütte am Tödi die erste SAC-Hütte eröffnet –, baute Wege und begann damit, Alpinisten und Bergführer auszubilden. Weil gleichzeitig immer mehr Bergbahnen die verschiedensten Alpengipfel erschlossen, wurde das Bergsteigen zunehmend populärer. Bereits im Jahr 1913 hatte der SAC 13'702 Mitglieder und 58 Sektionen.
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Frauen wurden 1907 aus dem SAC ausgeschlossen (und erst 1980 wieder zugelassen); im British Alpine Club mussten sie von Anfang an draussen bleiben und waren erst ab 1974 willkommen. Bergsteigen, so könnte man meinen, sei damals eine Männerwelt gewesen. Das liegt allerdings nicht daran, dass Frauen nicht auf Berge geklettert wären. Vielmehr wurden ihre Leistungen gerne totgeschwiegen.
Wettlauf um das Matterhorn
Frauen erbrachten damals so manche Pionierleistung. Margaret Claudia «Meta» Brevoort etwa gelang die erste Winterbesteigungen von Jungfrau und Wetterhorn und die Erstbesteigung des Pic Central in den französischen Westalpen. Anders als die meisten Frauen, die in für die Zeit üblichen bodenlangen Röcken auf die Berge stiegen, kletterte Brevoort ausschliesslich in Hosen – manche Frauen legten unterwegs übrigens ihre Kleider ab. Die US-Amerikanerin wurde auf ihren Touren oft von ihrer Hündin Tschingel begleitet, die später zum Ehrenmitglied im Alpine Club ernannt wurde, was Brevoort als Frau verwehrt blieb.
Eine der grossen Konkurrentinnen von Brevoort war Lucy Walker, die ihr 1871 am Matterhorn um wenige Tage zuvorkam und als erste Frau auf dem Gipfel stand, der lange als unbezwingbar gegolten hatte. Die Engländerin war zudem die erste Frau auf dem Wetterhorn und dem Piz Bernina. Zudem gelang ihr die Erstbesteigung des Balmhorns.
Bergsteigerin und Erfinderin
Als eine der ehrgeizigsten Bergsteigerinnen der damaligen Epoche zählt zudem Jeanne Immink. Für die Niederländerin war nicht der Gipfel das Ziel, sondern der Weg dorthin. In den Walliser Alpen absolvierte sie Tagestouren mit 2500 bis 3000 Metern Höhenunterschied. Sie war oft solo unterwegs, kletterte neue Routen oder neue Bestzeiten und meisterte anspruchsvolle Touren, die im ausgehenden 19. Jahrhundert als besondere Herausforderungen galten. Nach einer Erstbesteigung forderte sie «die Herren Alpinisten auf, meinen Schritten zu folgen».
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Immink gilt zudem als Erfinderin des Abseilgurts. Ihren Kopf schützte sie beim Klettern mit einer Reiterkappe. Steinschlaghelme, wie wir sie heute kennen, gab es damals noch nicht. In der Regel schützten nur Hüte vor der Sonne. Auch sonst sah die Ausrüstung damals gänzlich anders aus. Haken und Karabiner beispielsweise kamen erst um 1900 auf. Und Hanfseile rissen rasch und wurden bei Nässe steif. Dabei hielt 1888 der österreichische Arzt und Bergsteiger Emil Zsigmondy fest, der wichtigste Schutz gegen allerlei Gefahren im Gebirge sei das Seil.
Bergsteigerinnen und Bergsteiger griffen im 19. Jahrhundert gerne auch auf zweckentfremdete Geräte zurück, etwa Maurerhaken aus dem Bauwesen, Seile aus der Seefahrt, Griessbeil und Karabiner von der Feuerwehr, wie der Deutsche Alpenverein zum Thema schreibt.
Weil es im Zuge der wachsenden Beliebtheit des Sports um 1900 vermehrt zu Unfällen in den Bergen kam, wurde zu der Zeit auch die Ausrüstung weiterentwickelt: Kletterkarabiner, Sicherheitshaken, Steigeisen, Eispickel, Eishaken. In den 1950er-Jahren wurden zudem die Hanfseile durch moderne Kunststoffseile abgelöst.
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Zu der Zeit, da der Alpinismus populär wurde, wurde auch das Wandern zum Volkssport. Man flanierte und spazierte nicht mehr nur, sondern wanderte und marschierte. Der Breitensport war gewissermassen auch eine Reaktion auf die fortschreitende Industrialisierung, ein Rückbesinnen auf die Natur und die Ideale der Romantik. Eine wichtige Rolle bei der Verbreitung des Sports spielt die 1896 bei Berlin gegründete Bewegung Wandervogel, die Wanderungen hauptsächlich für bürgerliche Schüler und Studenten durchführte. 1907 wurde gemäss Historischem Lexikon der Schweiz der Verein Wandervogel mit dem Zunamen Schweizerischer Bund für alkoholfreie Jugendwanderungen gegründet.
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Das Gegenstück zu den bürgerlichen Wandervögel war der 1895 in Wien ins Leben gerufene Arbeiterverein Naturfreundebewegung. Wenige Jahre später etablierte sich die Bewegung auch in der Schweiz, wo sie heute noch unter dem Namen Naturfreunde Schweiz aktiv ist.
Einheitliche Markierung für Wanderwege
Immer mehr Wander- und Heimatvereine bauten Wege, wiesen Routen aus und kreierten Wegweiser. In den 1930er-Jahren war der Wildwuchs derart gross, dass Jakob Ess, ein wanderbegeisterter Lehrer aus der Ostschweiz, zusammen mit dem damaligen Sekretär der Stiftung Pro Juventute und des Bunds der Schweizer Jugendherbergen, Otto Binder, 1934 die Schweizerische Arbeitsgemeinschaft für Wanderwege schuf. Damals entstanden die einheitlichen gelben Wegweiser der Schweizer Wanderwege.
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