Die Energiekrise ist zur grössten Herausforderung für die Hotellerie geworden. Das zeigt eine Umfrage von HotellerieSuisse. Die hohen Energiepreise bringen fast die Hälfte der Betriebe in finanzielle Schwierigkeiten. Verschärft wird die Sache dadurch, dass uns zurzeit ein Stromabkommen mit der EU fehlt. Deshalb sei die Schweiz auf den Goodwill der Nachbarländer angewiesen, teilte HotellerieSuisse unlängst den Mitgliedern mit.
Eine Studie des Bundesamts für Energie warnt gar davor, dass uns das Schreckgespenst Strommangellage ab 2025 im Winterhalbjahr regelmässig heimsuchen könnte, weil ab dann die europäischen Netzbetreiber 70 Prozent der für den internationalen Handel relevanten Kapazitäten für EU-Staaten freihalten müssen. Gelingt es der Schweiz bis dahin nicht, mit der EU eine Kooperation bei der Stromversorgung einzugehen, schwächt das laut Bericht die Versorgungs- und Netzsicherheit.
Unser Land – und speziell das Gastgewerbe – braucht Europa
Wie wichtig die EU für die Schweiz ist, liesse sich anhand unzähliger Statistiken zeigen. Aus aktuellem Anlass etwa daran, dass die Schweiz im Winter regelmässig netto Strom aus den Nachbarländern importiert: Im Winter 2020/2021 hat die Schweiz rund 1800 GWh mehr importiert als exportiert. Oder daran, dass von allen Beschäftigten im Jahr 2021 im Schweizer Gastgewerbe fast jede dritte angestellte Person aus einem EU- oder Efta-Land kam. Nicht zuletzt ist die EU für Schweizer Hotels der mit Abstand wichtigste Auslandmarkt: Gäste aus EU- und Efta-Staaten machten im Jahr 2019 ein Viertel aller Übernachtungen aus. Das waren rund 10 Millionen Übernachtungen in Schweizer Hotels. Und selbst während Corona, im Jahr 2021, ging jede fünfte Hotelbuchung auf das Konto eines europäischen Gasts.
Versenkt wurde das Stromabkommen, über das während elf Jahren verhandelt wurde und das der Schweiz den Zugang zum europäischen Strommarkt hätte sichern sollen, mit dem Scheitern des institutionellen Rahmenabkommens. Der Bundesrat hat die Verhandlungen dazu im Mai 2021 abgebrochen. Seitdem liegt das Europa-Dossier de facto auf Eis. Sondierungsgespräche verliefen bisher ergebnislos.
Zwar wollte die EU-Ratspräsidentschaft bis Ende Jahr klären, wie man mit der Schweiz künftig weiterfahren solle. Beim Treffen der zuständigen Arbeitsgruppe der EU-Staaten von letzter Woche sei dieser Punkt aber nicht einmal mehr auf der Traktandenliste gestanden, meldet die Nachrichtenagentur SDA.
Schweizer Image in Gefahr
In der Europa-Frage herrscht nicht nur Stillstand, es geht sogar rückwärts, wie Avenir Suisse festhält. Die Hürden für die Teilnahme am EU-Binnenmarkt seien für Schweizer Unternehmen bereits gestiegen, weil die EU ihr Recht verändere und die Schweiz die Äquivalenz nicht immer aufrecht halte, so die Denkfabrik. Erosion der bilateralen Verträge nennt sie das.
Nicht betroffen davon sind bisher die beiden wichtigen Dossiers Personenfreizügigkeit und Schengen. Kein Problem also für den Tourismus? Doch, denn es gibt bereits Erosionen, die den Tourismus durchaus treffen. In ihrem Erosionsmonitor schreibt Avenir Suisse beispielsweise über landwirtschaftliche Produkte, «dass vereinzelt die vorgesehenen Kontrollen von Produkten aus Drittstaaten, die für die Schweiz bestimmt sind, nicht mehr von den EU-Mitgliedstaaten [...] durchgeführt werden. Dies sparte der Schweiz bisher Kosten [...].» Kosten, die den Import von landwirtschaftlichen Lebensmitteln verteuern.
Bettina Baltensperger, bei HotellerieSuisse zuständig für das Thema, warnt zudem: Erstens sei nicht ausgeschlossen, dass früher oder später auch die Personenfreizügigkeit unter Druck gerate. Und zweitens seien erodierende bilaterale Beziehungen ein Rückschlag für die Schweizer Wirtschaft. «Dem Schweizer Tourismus geht es gut, wenn es der Schweizer Wirtschaft insgesamt gut geht.» Deshalb fordere der Verband vom Bundesrat, die Verhandlungen mit der EU möglichst rasch wieder an die Hand zu nehmen.
«Die aktuelle Lage beschädigt unser Image als offenes Reiseland.»
Marcel Perren
Tourismusdirektor Luzern
Ähnlich sieht es der Schweizer Tourismus-Verband (STV), der sich ebenfalls für eine baldige Regelung der institutionellen Fragen einsetzt. Das Ziel seien Planungssicherheit und gute Rahmenbedingungen für den Schweizer Tourismus, sagt Samuel Huber, Leiter Politik. Dazu gehöre ein partnerschaftliches und geregeltes Verhältnis zur EU und den Nachbarländern. «Die aktuelle Lage beschädigt unser Image als offenes Reiseland, was der Schweiz unwürdig ist», sagte zudem Luzerns Tourismusdirektor Marcel Perren am Montag an einer von HotellerieSuisse mitorganisierten Podiumsdiskussion von stark + vernetzt, einer Initiative für eine konstruktive Europapolitik.
Es droht die lange Bank
Und wie könnte es nun weitergehen? «Nächstes Jahr sind in der Schweiz nationale Wahlen. Und im Jahr darauf wird das Europaparlament neu gewählt. Bis dahin erwarten wir kein deutliches Vorankommen in der Europa-Frage», sagt Baltensperger. Mit einem raschen Abschluss von Verhandlungen ist nicht zu rechnen: Die Gespräche zum Rahmenabkommen dauerten 13 Jahre, ehe sie abgebrochen wurden. Umso wichtiger sei es, das Thema jetzt anzusprechen, findet Baltensperger.
stark + vernetzt führt weitere Infoveranstaltungen durch:
17. November in Basel
1er décembre à Lausanne
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