Seit 100 Jahren setzen die Schweizer Jugendherbergen Massstäbe bei der sozialen und ökologischen Verantwortung. Der Umwelt zuliebe sanieren, renovieren und ersetzen sie einen grossen Teil der 50 Hostels im Portfolio und sparen nebenbei Betriebskosten. Weitere Projekte in Pontresina, Lausanne und Genf stehen an. Damit erregen sie bei den Jugendlichen und jungen Erwachsenen grosse Aufmerksamkeit, was wiederum zu traumhaften Logiernächtezahlen führt. Im vergangenen Jahr lagen diese zwei Prozent über dem Vor-Pandemie-Niveau.
Alle, die etwas gegen den Klimawandel tun, werden oft auch für kleine Ungereimtheiten kritisiert.
René Dobler, CEO der Schweizerischen Stiftung für Sozialtourismus
Im Gespräch erklären Janine Bunte, CEO der Schweizer Jugendherbergen, und René Dobler, CEO der Schweizerischen Stiftung für Sozialtourismus, dass die Hostels trotz Nachhaltigkeits-DNA keinesfalls makellos sind.
Die Schweizer Jugendherbergen sind Branchenvorreiter in Sachen Nachhaltigkeit. Baut das auch Druck auf?
Janine Bunte: Das Gegenteil ist der Fall, es motiviert uns. Weil wir so früh mit Nachhaltigkeit begonnen haben, ist sie eine Selbstverständlichkeit, wir leben sie. Die Gäste und die Mitarbeitenden schätzen das, und wir wollen permanent besser werden.
René Dobler: Am Anfang war das vielleicht anders. Wir waren unsicher, wie die Gäste beispielsweise auf die Veröffentlichung des Nachhaltigkeitsberichts oder auf CO₂-Kompensationen reagieren würden, denn wir waren die Ersten in der Branche, die das taten. Inzwischen sind solche Neuerungen zu Standards geworden.
Medien nehmen Aspekte wie CO₂-Kompensationen genau unter die Lupe und prangern bei Fehltritten an. Wie gehen Sie damit um?
René Dobler: Alle, die etwas gegen den Klimawandel tun, werden besonders genau beobachtet und oft auch für kleine Ungereimtheiten kritisiert. Betriebe, die gar nichts unternehmen, schaut man nicht einmal an. Das ist ein wenig eigenartig.
Inzwischen haben die Jugendherbergen aber so viel geleistet und so viel bewiesen, dass ihr Engagement nicht mehr infrage gestellt wird. Natürlich haben wir Lücken, aber das haben wir permanent. Beispielsweise sind einige unserer Häuser alt und energieineffizient. Man kann immer etwas verbessern, und das tun wir auch. Wir arbeiten momentan an unserer Klimastrategie 2050, die sich an der Schweizer Klimastrategie und an den allgemeinen Klimazielen orientiert.
Sie haben das Jugi-Gastronomie-Konzept auf den Kopf gestellt: Fleisch gibt es nur noch als Beilage.
Janine Bunte: (lacht) Eigentlich gibt es bei uns gar kein Fleisch mehr! Aber wer nicht darauf verzichten kann, bekommt es weiterhin. In der Klimathematik spielt die Reduktion des Fleischkonsums nämlich eine wichtige Rolle. Fakt ist: Mit unserem Gastrokonzept Yoummi kann man drei vollwertige Menüs geniessen: vegan, vegetarisch und mit Fleisch. Wir möchten unsere Gästen Optionen bieten.
Wer hat Sie zur vegetarischen und veganen Küche inspiriert?
René Dobler: Wir haben Profis ins Haus geholt. Sie vermitteln uns das nötige Wissen und lernen mit uns, denn wir kopieren nicht, sondern gestalten einen gastronomischen Kulturwandel mit. Wir probieren aus und machen Fehler. Wir lernen, was technisch, finanziell und von den Ressourcen unserer Mitarbeitenden her alles möglich ist. Mit Yoummi geben wir Antworten auf die selbstverständlichen Erwartungen der jungen Gäste.
Die da wären?
René Dobler: Wenn man die Jungen nicht mit den von ihnen gewünschten Esswaren versorgt, nehmen sie ihre eigenen Produkte mit. Und man muss alles deklarieren: Allergene, tierische Produkte, Labels, Anbauweisen, Herkunft. Wenn beim Frühstückbuffet beispielsweise die Zusammensetzung des Müesli nicht deklariert ist, fragen die Gäste den Koch, und der verliert dann viel Zeit mit der Recherche.
Janine Bunte: Die Jungen stehen an einem anderen Ort als wir in ihrem Alter. Heute machen sich die Jungen Gedanken und Sorgen über das Wohlergehen der Erde. Das ist auch verständlich, denn sie leben länger als wir. Aber es ist in unserer aller Verantwortung, dass wir etwas gegen den Klimawandel tun und den neuen Generationen dadurch auch ein schönes Leben ermöglichen.
Sie haben für die Köche ein digitales Kochbuch zusammengestellt. Servieren Sie in den Jugendherbergen nun einen Einheitsbrei?
Janine Bunte: Nein, die Menüs wechseln permanent. Aber die Standardisierung war nötig, weil das Ausbildungsniveau unserer Köche total unterschiedlich ist. Vom ausgebildeten Koch über den Hobbykoch bis zum Allrounder gibt es alles. Die vegetarische und die vegane Küche sind komplex. Für Köche, die nicht spezifisch ausgebildet sind, ist es mit viel Aufwand verbunden, kreativ und flexibel zu bleiben. Mit der Standardisierung können wir zudem Food-Waste reduzieren und die Kosten im Griff behalten, weil wir viel Volumen einkaufen können.
Ohne Fleisch zu kochen, ist sowieso günstiger als mit Fleisch.
Janine Bunte: Dieser irrigen Meinung waren wir auch, bis die Experten bei der Entwicklung von Yoummi gefragt haben, wie viel teurer es sein dürfe. Aber wir können nicht teurer werden als bis anhin. Unsere Zielgruppen sind Schulklassen, junge Menschen und Personen mit kleinem Budget. Ihnen wollen wir eine gesunde und bekömmliche Küche bieten, die sie sich leisten können. Deshalb wollen wir beim Abendmenü unbedingt bei 19.50 Franken bleiben. Das bleibt aber eine Herausforderung.
René Dobler: Noch zurück zum Einheitsbrei. Wir sind keine Kantine, wo man sich regelmässig am selben Ort verpflegt. Die durchschnittliche Aufenthaltsdauer liegt bei zwei Nächten. Die meisten Gäste essen ein- bis zweimal pro Aufenthalt bei uns. Also wird es vielen Gästen nicht auffallen, dass wir die Vielfalt reduziert haben. Die Auswahl der Menüs ist wirklich gross und verändert sich permanent, insbesondere variieren wir auch saisonal.
Wie hoch liegen die Einkaufskosten für die Abendmenüs?
Janine Bunte: Wir geben die Vorgabe von 30 Prozent Warenkosten. Das ist schwierig einzuhalten, zwischenzeitlich waren wir bei 32 Prozent. Um alles im Griff zu halten, haben wir Alarmsysteme eingebaut. Damit können wir flexibel auf Veränderungen reagieren.
Was ist die Zauberformel?
Janine Bunte: Gute Partnerschaften. Langjährige Partner sind eher bereit, uns preislich kurzfristig entgegenzukommen, weil wir ein gewisses Volumen beziehen.
Wie wichtig ist Regionalität? Servieren Sie in Gstaad Berner Alpkäse und im Bündnerland Capuns?
René Dobler: Regionalität ist vom Umweltgedanken her nicht per se gut, da ist Saisonalität viel wichtiger. Bei uns kommen die Lebensmittel aber weitestgehend aus der Schweiz.
Im Werbevideo zu Yoummi werden Zitrusfrüchte aufgeschnitten, die kommen wohl kaum aus der Schweiz.
René Dobler: Wir verzichten nicht auf alles, was nicht 100 Prozent konform ist. Es ist aber auch ganz normal, dass wir immer wieder über gewisse Dinge stolpern. Beim Werbevideo stand nicht nur der Umweltgedanke im Zentrum, sondern auch Genuss, Frische und Lust aufs Essen. Dass nicht immer alle die vielen Vorgaben einhalten können, ist Teil unserer Herausforderung.
Es sollte selbstverständlich sein, dass Handtücher nicht täglich gewechselt werden.
Janine Bunte, CEO Schweizer Jugendherbergen
Was tun Sie konkret gegen Food-Waste?
Janine Bunte: Wir wissen immer, wie viele Gäste essen, und können deshalb nach klarer Rezeptur kochen. Deshalb haben wir viel weniger Food-Waste als früher. Wir haben auch begonnen, weniger grosse Portionen zu schöpfen, dafür können die Gäste jederzeit Nachschlag holen. Beispielsweise bei Schulklassen haben wir mehr Food-Waste, wenn die Lehrer schöpfen. Sie meinen es zu gut mit den Schülern und reichen zu viel. Eine weitere Lösung ist, dass wir gewisse Lebensmittel am nächsten Tag ins Menü integrieren.
Was kann die klassische Hotellerie von den Jugendherbergen lernen?
Janine Bunte: Man hat in der Hotellerie oft das Gefühl, man müsse dem Gast gewisse Dinge bieten, weil er es erwartet. Dafür wird die eigene Überzeugung geopfert. Aber wir müssen uns permanent bewusst bleiben, wofür wir auf der Welt sind und welche Verantwortung wir tragen. Deshalb sollte es heutzutage selbstverständlich sein, dass Handtücher nicht täglich gewechselt werden. Ich würde mir wünschen, dass die ganze Hospitality-Branche das Bewusstsein für Umweltthemen stärker lebt.
René Dobler: Viele Hoteliers verstecken sich hinter der Ausrede, wir können uns das nicht leisten. Aber gerade mit Umweltengagement kann man ganz viele Kosten einsparen. Die Hoteliers sollten sich offener auf das Thema einlassen. Das können sie voller Elan und mit viel Lust tun. Unsere Generation hat die Aufgabe und die Chance, einen Kulturwandel mitzugestalten und mitzuentwickeln. Packen wirs an!
Klimabewusste Gebäudeentwicklung
Die Schweizerische Stiftung für Sozialtourismus wurde vor 50 Jahren gegründet. Sie ist die Eigentümerin der Mehrheit der Jugendherbergen in der Schweiz. Sie übernimmt die Liegenschaftsverwaltung – vom Bau bis zur Instandhaltung – der vom Verein Schweizer Jugendherbergen geführten Betriebe.
Wie gehen Sie damit um, wenn Ihre Neuentwicklungen kopiert werden?
René Dobler: Das ist gut so. Wir wollen kopiert werden. Wir beanspruchen unsere Entwicklungen nicht als unseren Wettbewerbsvorteil. Sie sollen dem Umwelt- und Sozialgedanken ganz allgemein etwas bringen. Wir profitieren schliesslich auch von anderen, die einen Schritt weiter sind.
Die kommenden zwei Jahre feiern Sie: 50 Jahre Schweizerische Stiftung für Sozialtourismus und 100 Jahre Schweizer Jugendherbergen. Ein Freudenmoment?
Janine Bunte: Für mich ist das Jubiläum sehr emotional. Ich arbeite seit 26 Jahren für die Schweizer Jugendherbergen und habe somit ein ganzes Vierteljahrhundert mitgeprägt. Das geht mir nah. Und wir verfolgen unseren Leitgedanken von Sozial- und Umwelttourismus weiter. Wir unterstützen die Jungen beispielsweise während der Youth Challenge, einem Reisewettbewerb für Junge, dabei, nachhaltig zu reisen. Ein Bedürfnis, das sich während der Pandemie weiter etabliert hat. Wir tun alles dafür, dieses Bewusstsein aufrechterhalten zu können.
René Dobler: Ein Geburtstag ist immer ein Innehalten und ein Vor- und Zurückschauen. Es wird einem bewusst, wie alles begonnen hat. Wie die Schweizer Jugis mittellose Arbeiter aus den dunklen Industriehallen geholt und ihnen auf ihren Wanderungen an der frischen Luft erste günstige Übernachtungsmöglichkeit geboten haben. Wir denken aber auch an alle Wegbegleiter, die sich mit Enthusiasmus und guten Ideen für sozialen und umweltverträglichen Tourismus eingesetzt haben. Und wir stellen uns Fragen über die Sinnhaftigkeit unseres Tuns.
Zu den Personen
Von der Rechnungs-Kontiererin zur CEO
Seit 26 Jahren ist Janine Bunte bei den Schweizer Jugendherbergen. Die 50-Jährige ist Präsidentin von Parahotellerie Schweiz, Mitinitiantin und Präsidentin des Vereins Discover.swiss, Vizepräsidentin der Genossenschaft Discover.swiss und Mitglied des Vorstandes von Go-Snow – Schneesportinitiative Schweiz. Die Mutter zweier Kinder ist zudem bei den internationalen Jugendherbergen engagiert. [IMG 3]
[IMG 2] Architekt mit einer Umweltschutz-DNA
René Dobler ist CEO der Schweizerischen Stiftung für Sozialtourismus (SSST). Die Stiftung ist für den Bau und die Weiterentwicklung der Jugendherbergen verantwortlich. Dobler studierte in Zürich, wo er heute mit seiner Partnerin und zwei Kindern auch lebt. Sechs Jahre später wurde er zum Geschäftsleiter der SSST. Sein Engagement in der nachhaltigen Entwicklung wurde mehrfach ausgezeichnet. Der 56-Jährige ist auch beim internationalen Jugendherbergsverband Hostelling International aktiv.
Einst ein Bett für Arbeiter, heute für Jugendliche
Gegründet wurden die Jugis, um die Arbeiter aus ihren Fabrikhallen zu holen. Man wollte ihnen in der Freizeit eine preisgünstige Übernachtung bieten. Der soziale und nachhaltige Gedanke war also Ursprung der Jugendherbergen. Inzwischen ist das Netzwerk des Vereins Schweizer Jugendherbergen auf 42 eigene und 7 Franchise-Betriebe angestiegen. Vom romantischen Schloss über den städtischen Designbetrieb bis zum Wellnesshostel. Die Non-Profit-Organisation mit nahezu 70 000 Mitgliedern erzielt jährlich rund 750 000 Logiernächte. Im Fokus steht der qualitätsbewusste, nachhaltige und preisgünstige Jugend- und Familientourismus.
Youth Challenge: Vier Teams – ein Champion
Zum Jubiläumlancieren die Jugendherbergen einen Wettbewerb für Jugendliche. Diese reisen eine Woche lang durch die Schweiz und übernachten in den Schweizer Jugendherbergen. Damit wollen die Jugendherbergen den Jugendlichen ihre Werte näherbringen: Sie sollen die Welt aktiv erfahren. Auf ihren Reisen sollen sie andere Menschen, Kulturen und die Natur kennenlernen und den eigenen Horizont erweitern. Den Gewinnern winkt ein Gutschein für eine Europareise mit dem Zug und Übernachtungen im Netzwerk von Hostelling International.
Teams mit Jugendlichen im Alter von 16 bis 25 Jahren stellen eine Reise zusammen und präsentieren ihre Route in einem Kurzvideo. Eine Jury wählt die vier spannendsten Projekte aus. Auf ihrer Reise müssen die Jugendlichen in mindestens drei unterschiedlichen Schweizer Jugendherbergen übernachten. Für die gesamte Reise haben sie ein Budget von 500 Franken.