Rund zwei Dutzend Fachleute haben zusammen mit dem Forschungszentrum für Tourismus und Verkehr der Universität St. Gallen eine vierte Lageeinschätzung zum Thema «Die Zukunft des Tourismus nach Sars-CoV-2: Was bleibt?» vorgenommen. Verschiedene Aspekte wie positive Entwicklungen und Herausforderungen, Knappheit von Ressourcen, Produktivität und neue Strategien wurden dabei diskutiert.
Ungewissheit und kurzfristige Entscheide begleiten die Branche weiterhin: «Das Reisen ist nach wie vor beschwerlich, länderspezifische Regulierungen werden noch länger bleiben», erklärt Christian Laesser, Titularprofessor für Tourismus und Dienstleistungsmanagement der Universität St. Gallen. Und auch der Krieg in der Ukraine bremse die erhoffte Öffnung der Fernmärkte.
Eintritte und Kontingente für Ausflugsziele in der Natur
Wieder ans Meer reisen, andere Kulturen entdecken – der Nachholbedarf ist zwar gross, das Unbehagen gegenüber Menschenmengen jedoch auch. Gerade an beliebten Reisezielen wie beispielsweise Luzern hat das Wegbleiben von Touristengruppen zu einer erhöhten Lebensqualität der Einheimischen geführt. Wichtig sind nun Fragen wie: Wo liegt die Kapazitätsgrenze? Wie viele Gäste verträgt es künftig? «Diese Zahl zu steuern, ist aber schwierig», sagt Christian Laesser. Die Reduktion von Carparkplätzen kann helfen, auch die enge Zusammenarbeit mit Reiseveranstaltern oder das Schaffen von neuen Attraktionen ausserhalb der touristischen Hotspots. Ziel müsste sein, nicht mehr Touristen anzuziehen, sondern mehr aus ihnen herauszuholen, «also die Wertschöpfung zu erhöhen».
Wir müssen ‹Mehr Tourismus› durch ‹Mehr aus dem Tourismus› ersetzen.
Christian Laesser, Titularprofessor Universität St. Gallen
Gleichzeitig haben andere Regionen während der Pandemie das Gegenteil erlebt: So wurden der Lauenensee bei Gstaad BE oder das Gantrischgebiet überrannt. «Und diese Gebiete sind oft sensiblere Räume als der Schwanenplatz in Luzern», erläutert Monika Bandi Tanner, Co-Leiterin Forschungsstelle Tourismus (CRED-T) an der Universität Bern.
Um Besucherströme besser zu steuern, gibt es verschiedene Varianten. Zeittickets helfen in Museen, Kontingente beschränken die Besucherzahl, Push-Nachrichten bei digitalen Gästekarten können weniger überlastete Ausflugsziele promoten. Oder was in Amerika längst üblich ist, wäre auch hier denkbar: Eintritte für Naturerlebnisse wie den Lauenensee. «Dadurch würde das Verbraucherprinzip gefördert, die Einnahmen könnten zugleich die Wertschöpfung im Sommer stärken – aber sie sind politisch kaum opportun», sagt Monika Bandi.
Im Zuge der verstärkten Klimadiskussionen sieht sie künftig durchaus Chancen für solche Modelle. Denn schon während der Pandemie haben die Zahlen gezeigt: Vielerorts wurden mit weniger Gästen ähnlich hohe Erträge erzielt wie früher. «Es müsste ein Umdenken von einem rein quantitativen hin zu einem qualitativen Wachstum stattfinden.» Anspruchsvoll wird dies für Unternehmen, die auf hohe Frequenzen angewiesen sind und ihre Anlagen mit Investitionen darauf ausgerichtet haben.
Hotels für verschiedene Zwecke nutzen
Die meisten Hotelanlagen dienen heute nur einem Zweck: Gäste zu beherbergen. In der Nebensaison sind sie jedoch vielerorts schlecht ausgelastet und die Erträge entsprechend tief. Deshalb empfehlen die Fachleute, über eine Mehrzwecknutzung wie Co-Living-Spaces oder Wohnraum für Maximalaufenthalte von einem Jahr nachzudenken. «Gerade in Städten herrscht heute Wohnungsnot, also könnten wir Gästezimmer umfunktionieren», sagt Christian Laesser.
In Stadthotels kann sich auch Andreas Züllig, Präsident von HotellerieSuisse, eine Misch- oder Umnutzung vorstellen. Der Strukturwandel sei kaum aufzuhalten, und «grundsätzlich sehe ich sonst keine Möglichkeiten für nicht mehr wettbewerbsfähige Betriebe». Anders sei die Situation in der Ferienhotellerie: «Durch die Zweitwohnungsinitiative ist die Nutzung der Immobilie meist auf den Hotelbetrieb beschränkt.»
Ein weiterer Aspekt betrifft die Finanzlage der Unternehmen. Aus dem Report geht klar hervor, dass Investitionslücken und -staus von mindestens einem Jahr bestehen. Es sei wichtig, über alternative Finanzierungsmodelle wie den Einbezug der Gäste mit Anteilscheinen nachzudenken, so Laesser. Und Betriebskosten zu senken: «Welcher Service ist wirklich nötig, wo kann man Abstriche machen?»