Im 19. Jahrhundert ging es los: Junge Briten entdeckten die Schweiz als Reiseland und erklommen die Berggipfel. Bis heute ist Grossbritannien wichtig für den hiesigen Tourismusstandort, für manche Regionen zählt es zu den Top-Märkten.
2,29 Nächte blieben die Gäste aus Grossbritannien und Irland 2019 durchschnittlich im Hotel.
Berge nannten 8,9 Prozent als Hauptgrund für ihre Reise. 7,5 Prozent nannten die Familienfreundlichkeit und 5,8 Prozent Schnee und Eis (Top 3 der Hauptgründe für die Reise in die Schweiz).
210 Franken gaben die Reisenden gemäss «Tourismus Monitor Schweiz 2017» im Schnitt täglich aus.
46,1 Prozent der Briten und Iren übernachteten während ihrer Ferien im Hotel.
Die Jungfrau-Region zum Beispiel besuchen jährlich 270 000 Britinnen und Briten, was 10 Prozent des gesamten Gästeaufkommens entspricht. Richtige britische Hochburgen sind die Bergdörfer Mürren und Wengen. In Wengen gibt es den traditionsreichen britischen Skiclub Downhill Only, in Mürren den Kandahar Skiclub. Jetzt im Winter ist der Anteil britischer Gäste dort besonders hoch: In Wengen liegt er bei 20 Prozent.
Rolf Wegmüller, Geschäftsführer von Wengen Tourismus, kennt die Briten und weiss, was bei ihnen zu beachten ist. «Zum Beispiel braucht es Angebote für Nichtskifahrer, da bei britischen Familien oft Personen dabei sind, die der Piste fernbleiben.» Ihnen werde einiges geboten: Ausflüge zum Jungfraujoch – Top of Europe oder Winterwanderungen. Zudem gibt es für die Nichtskifahrer extra einen Schlittel- und Wanderpass, der mehrere Tage gültig ist. «So können sie sich entlang der Piste mit ihren skifahrenden Familienmitgliedern treffen, um gemeinsam Mittagessen zu gehen.» Für solche Treffen eigne sich die Wengernalpbahn bestens.
Es braucht Angebote für Familienmitglieder, die der Piste fernbleiben.
Rolf Wegmüller, Geschäftsführer Wengen Tourismus
Präsenz vor Ort ist ein Must, um die Briten zu erreichen
Jungfrau-Region und Briten verbindet viel Tourismusgeschichte, dennoch ist der Markt UK kein Selbstläufer, sondern muss permanent gepflegt werden. Bei den Werbekampagnen hat Marc Ungerer, Geschäftsführer der Jungfrau-Region Tourismus AG, die Gästesegmente genau im Blick. Da gibt es Wintergäste, «snow sports enthusiasts», Nichtwintergäste, darunter die «outdoor enthusiasts», und einfache Naturliebhaber, «nature lovers».
Darauf gehen die Massnahmen gezielt ein: «Für den Winter suchen wir den Kontakt zu B2B-Agenturen oder britischen Skiclubs, die ihren Kunden und Mitgliedern auf die Jungfrau-Skiregion zugeschnittene Aufenthalte anbieten.» Inserate oder journalistische Beiträge in bekannten Zeitungen, «Daily Telegraph» oder «Sunday Mirror», gehören auch zu den Werbemassnahmen. Genauso Beiträge auf Lifestyle-Portalen wie «Country and Town House». «Wir nutzen hier das Know-how der lokalen Vertretungen von Schweiz Tourismus», so Ungerer.
Präsenz vor Ort auf der Insel muss auch sein. So stellte sich die Jungfrau-Region bei der Chelsea Flower Show der Royal Horticultural Society vor, der berühmtesten britischen Gartenschau. «Die Teilnahme an solchen Publikumsmessen bringt uns Spillover-Effekte: Das Renommee dieser einmaligen Veranstaltungen überträgt sich auf uns. So erreichen wir ganz neue Besuchergruppen.»
Wichtig sind auch Marktzugänge, die die Konkurrenz nicht bekommt. Die Jungfrau-Region hat eine eigene Agentur in London, die Kontakte zu wichtigen britischen Reiseagenturen herstellt. «Sie arbeitet exklusiv für uns. So präsentieren wir uns bei den organisierten Kontakten auch nicht als eine Schweizer Destination von vielen, sondern ganz ohne Mitbewerber», erklärt Ungerer.
Zwar ist der Winter das stärkere Zugpferd, im Sommer sind die Gästezahlen in der Jungfrau-Region fünf bis sechs Prozentpunkte niedriger. Dennoch sollten auch die Sommervorlieben der Briten berücksichtigt werden, rät Ungerer. Sie zeigten besonderes Interesse an jeglicher Form von Dampfantrieb. Eine Dampfschifffahrt auf den Seen oder die Brienzer Rothornbahn dürften im Sommerprogramm also keinesfalls fehlen.
Britischen Gästen ist die Tradition sehr wichtig
Und der Brexit? Ungerer erwartet, dass sich das «schwierige konjunkturelle Umfeld Grossbritanniens» in jedem Fall auswirkt. Er plant gegenzusteuern. Im Frühjahr wird eine UK-spezifische Landingpage erstellt. Die Informationen und Angebote sind gezielt auf die Bedürfnisse in UK ausgerichtet.
«Britischen Gästen ist das Thema Tradition und kulturelles Erbe immer noch sehr wichtig. Hier punktet unsere Region als Wiege des Ski- und Skirennsports.» Das habe sich bereits letztes Jahr gezeigt, als in Mürren der 100. Jahrestag des ersten Weltcupslaloms gefeiert wurde. Die Resonanz in der britischen Presse sei enorm gewesen.
Es ist eine sportliche Klientel, die aber auch gerne beim Après-Ski feiert.
Simon Wiget, Direktor Verbier Tourisme
Auch für die Walliser Destination Verbier sind britische Gäste sehr wichtig. Ihr Anteil am Gästeaufkommen liegt bei satten 20 Prozent. «Es ist eine sportliche Klientel, die aber auch gerne beim Après-Ski feiert», so Simon Wiget, Direktor von Verbier Tourisme. Entsprechend brauche es gute und ausreichend viele Angebote – Pubs, Bars und Discos.
Wiget beobachtet, dass Gäste von der Insel immer wieder über die hochalpine Umgebung staunen können. In ihrer Heimat gibt es nichts Vergleichbares. «Das macht sie zu Gästen, die auch dann kommen und ihren Urlaub geniessen, wenn die Wetterbedingungen mal nicht perfekt sind.» Wenn zum Beispiel in einem wärmeren Winter die Schneeverhältnisse nicht top sind. Verbier Tourisme setzt auf «weit entwickelte und intensive Partnerschaften», etwa mit der Londoner PR-Agentur Heaven Publicity.
Gute Flugverbindungen
mit attraktiven Tarifen sind für den UK-Markt sehr wichtig – vor allem, da es für die Schweiz-Anreise keine gleichwertige Alternative gibt. Die Anreise per Zug kostet mehr, dauert länger und ist wegen Umsteigen und Bahnhofwechsel in Paris umständlich. Ein Pluspunkt für eine Schweizer Destination: wenn es eine an den Flug anschliessende Bahn-Direktverbindung gibt, ab den Flughäfen Genf oder Zürich. So wie die seit Dezember bestehende Direktverbindung von Zürich-Flughafen nach Interlaken.
Die Gäste suchen Swissness und Geselligkeit
In der Ferienregion Andermatt-Urserntal gibt es im Sommer viele Tagesgäste: «Wir haben hier regelmässig auto-, motorrad- und radaffine Briten», sagt Tourismusdirektor Thomas Christen. Er stellt fest, dass UK-Gäste Swissness suchen, zum Beispiel einen Swiss-Fondue-Abend mit gemütlichem Cheminéefeuer.
Wichtig sind auch gesellige Orte wie Pubs, Bars und Restaurants, wo sich Einheimische und internationale Gäste mischen. Andermatt hat da die «Alt Apothek» im Hotel The River House mit Livemusik und grosser Whisky-Auswahl oder das Pinte Pub zu bieten.
«Den Briten gefällt das Zusammensein in einer rustikalen Location, die jung, dynamisch und lebendig ist. Da bekommen sie ein heimisches Pub-Gefühl.» Speziell junge Briten sind zudem auf Action aus. Im Sommer gehen sie in den Klettersteig, im Winter in den Tiefschnee.
Bei der Werbung für den Markt UK arbeitet die Destination mit Partnern wie dem bei den Briten beliebten Radisson Blu Hotel Reussen zusammen. Auch der Glacier-Express, der in Andermatt hält, spielt mit seiner internationalen Strahlkraft eine wichtige Rolle bei der Vermarktung. Da fahren auch britische Passagiere mit, die auf diesem Weg nach Andermatt kommen.
Nachgefragt
«Wir erwarten ein deutliches Wachstum»
Briten erwarteten von einer Reise ein gutes Preis-Leistungs-Verhältnis, sagt Alex Herrmann von Schweiz Tourismus. Die Schweiz müsse besonders die Leistungsseite, den «Value», in den Mittelpunkt stellen.
Herr Herrmann, womit kann die Schweiz bei den Briten punkten? [IMG 2]
Die Briten lieben die Schweiz. Sie steht bei ihnen primär für Skifahren und die sehr populären Panoramazüge, die viele britische Reiseveranstalter anbieten. UK-Gäste schätzen grundsätzlich Schweizer Qualität, Verlässlichkeit und ein gutes Preis-Leistungs-Verhältnis. Und sie erwarten eine gewisse Annehmlichkeit beim Reisen.
Zum Beispiel?
Viele Briten sprechen keine Fremdsprache. Daher sollte es selbstverständlich sein, dass im Hotel alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit Kundenkontakt gute Englischkenntnisse besitzen. Im Umgang mit den Briten hilft es auch, sich der Schweizer Tourismusgeschichte bewusst zu sein, ist diese doch untrennbar mit Grossbritannien und den britischen Adeligen verbunden, die im 19. Jahrhundert die Schweiz im grösseren Stil zu bereisen begannen.
Die Schweiz ist ein teures Reiseland. Welche Rolle spielt dieser Faktor?
Von den 66 Millionen Briten gehört die Mehrheit nicht zu unserer Zielgruppe. Entweder sie reisen kaum international oder sie suchen kostengünstige Strandferien. Daher konzentrieren wir uns vor allem auf die obere Mittelklasse. Wir haben ein Netzwerk von Reiseagenten, die diese potenziellen Gäste betreuen, beraten und deren Reisen buchen. Generell ist es ratsam, die Qualität und den «Value» in den Mittelpunkt zu stellen, nicht den Preis. Bei bestimmten Zielgruppen versuchen wir aber auch kostengünstigere Optionen aufzuzeigen. Nach dem Motto: Eine Reise in die Schweiz ist möglicherweise weniger teuer, als Sie denken. Was bei den Briten gut ankommt, ist das Thema nachhaltige Schweiz. Wir stellen es mit dem Programm Swisstainable immer mehr in den Vordergrund. Nachhaltigkeit allein ist zwar für Briten kein Reisegrund, hat aber zunehmend unterstützenden Einfluss bei ihrer Entscheidung für eine Destination.
Angenommen, ein Schweizer Hotel will im Markt UK Fuss fassen: Wie gelingt das am besten?
Wer in den Markt UK einsteigen will, sollte wissen: Grossbritannien ist ein umkämpfter Markt. Die reisebegeisterten, an sich Schweiz-loyalen Briten werden von allen Seiten umworben. Daher gehören zwei Dinge zu einer Erfolg versprechenden UK-Strategie: eine realistische Einschätzung der Bekanntheit der eigenen Marke im internationalen Wettbewerb und ein mittel- bis langfristiger Planungshorizont. Dazu etwas Geduld, da sich die Erfolge kaum sofort einstellen werden. Grundsätzlich lohnt es sich, den Markt UK anzugehen. Zwar erholt er sich nach den Pandemie-bedingten Rückgängen langsamer als die meisten anderen europäischen Märkte oder der US-Markt. Dennoch ist Grossbritannien attraktiv und birgt grosses Potenzial für die Schweiz, vor allem auch im Sommer und Herbst. Wir erwarten in den nächsten Jahren ein deutliches Wachstum.
Wer in den Markt UK einsteigen will, sollte wissen: Grossbritannien ist ein umkämpfter Markt.
Sie sind auch für den deutlich kleineren Markt Irland zuständig. Was ist bei irischen Gästen zu beachten?
Irland darf nicht als kleinere Kopie von Grossbritannien gesehen werden. Die Sprache ist zwar die gleiche, aber es gibt kulturelle Unterschiede. Viele Iren suchen aktive Ferien und reisen gerne auch in der Nebensaison. Der Reisemarkt Irland hat sich schneller erholt als Grossbritannien. Es ist aber ein kleiner Markt mit aktuell rund 80 000 Hotelübernachtungen pro Jahr. Das ist weniger, als Schottland produziert, die nach England wichtigste Herkunftsregion in Grossbritannien.