Wer darf was tun? Und was sicher nicht? Wo soll sich das Gebiet künftig entwickeln und in welche Richtung? Seit über zweihundert Jahren ist die Rigi in der Zentralschweiz ein Magnet für Touristen – und seit je dient das Massiv mit seinen Alpen und Weilern den Einheimischen als Zuhause und Arbeitsstätte. «Wie viele Gäste verträgt unser Berg pro Jahr; sind es 800'000 oder gar eine Million?», fragt Kuno Kennel, Verwaltungsratspräsident der RigiPlus AG, gleich zu Beginn der Veranstaltung.
Diese oft hitzig geführte Diskussion hat viel ins Rollen gebracht – ebenso die Pläne für ein Bergdörfli mit Schaukäserei, für eine Eventalp, Baumhütten oder neue Aussichtsplattformen. Dies alles gipfelte in der Petition «Nein! zu Rigi-Disney-World» und markierte den Startschuss zu einem neuen, einvernehmlichen Dialog und Prozess, der seit gut zwei Jahren in Gang ist. Siebzig Gäste sind an die erste Rigi-Konferenz nach Staffel gekommen, um sich über den Stand der Dinge zu informieren.
Den Gipfel entrümpeln und die Besucher besser leiten
Mit dem Unterzeichnen der «Charta Rigi 2030» haben sich die Betroffenen verpflichtet, gemeinsam eine nachhaltige Entwicklung mit Einbezug von Umwelt, Wirtschaft und Gesellschaft zu erarbeiten. Dazu bekennen sich die Rigi-Bahnen, Tourismusorganisationen, Gemeinde- und Umweltverbände wie auch Einheimische und Kritiker. Seither beschäftigen sich Arbeitsgruppen mit bestimmten Themen, diskutieren, suchen nach Lösungen und frischen Ideen. Die Charta setzt Eckwerte, «doch nun ist es unsere Aufgabe, diesem Stück Papier echtes Leben einzuhauchen», sagt Geschäftsleiterin Jeanine Züst (siehe unten).
Ein Projekte, das bereits weit fortgeschritten ist, betrifft die Sanierungen auf Rigi Kulm. Sowohl die Besucherlenkung wie auch die Signalisation und der Zustand der Wege lassen zu wünschen übrig. «Dieser Gipfel ist einer Königin unwürdig», sagt denn auch Frédéric Füssenich, CEO der Rigi Bahnen AG. Gemeinsam wollen die Beteiligten das Areal entrümpeln und sanieren – die Baueingabe dazu ist gemacht, im Idealfall starten die Arbeiten im Mai 2022. Ein neuer Wanderweg und historische Zäune aus Holz sollen entstehen, dazu ein Audioguide-Rundgang, der die Geschichte dieses Berges erlebbar macht.
Das Dorf oder den Berg als energieautark anpreisen
Eine andere Gruppe macht sich Gedanken über die Stromversorgung und den Charta-Grundsatz, Holz- und Sonnenenergie zu nutzen. «In einem ersten Schritt stehen wir mit Grossverbrauchern wie den Hotels und dem Mineralbad in Kontakt», erklärt Martin Gehrig, Co-Präsident der IG Rigi Kaltbad-First. Ziel ist, Infos zu sammeln und zu vermitteln – und dereinst eine Plattform zu schaffen, die allen Betroffenen bei anstehenden Sanierungen zur Seite steht. «Denkbar wäre auch, dass wir unser Dorf oder gar den ganzen Berg bewusst als energieautark positionieren.»
Das dritte Projekt, das an der Konferenz vorgestellt wurde, befasst sich mit dem immensen Kulturerbe der Rigi. Schon allein die Tourismus- und Beherbergungsgeschichte würde ein Buch füllen: «Eines unserer Grandhotels ist abgebrannt, das andere wurde abgebrochen – und um das Hotel Felchlin wieder zum Glänzen zu bringen, bräuchte es einen rechten Einsatz», sagt Urs Steiger, Präsident des Landschaftschutzverbandes Vierwaldstättersee. Der Geist von einst ist allgegenwärtig, doch zum Teil sind die Dokumentationen unvollständig. «Solche Wissenslücken möchten wir nun identifizieren und füllen, rund um den Tourismus, die Sakral- und die Alpwirtschaft.» In der anschliessenden Podiumsdiskussion wurde das Thema Kulturerbe vertieft, mit Auswärtigen und Einheimischen, wie Renate Käppeli, Gastgeberin im Rigi-Kulm-Hotel. Sie veranstaltet regelmässig Lesungen und Musikabende, «um zu pflegen, was Ende des 19. Jahrhunderts hier einen grossen Stellenwert hatte».
Weitere Projekte befassen sich mit dem Ersatz der Luftseilbahn Weggis–Rigi Kaltbad, der Festlegung von Handlungsräumen, einem Konzept für Mountainbiker und der Entwicklung des Gebiets Scheidegg-Burggeist.
An der Rigi-Konferenz wird das Volk miteinbezogen
Wortmeldungen aus dem Publikum gab es kaum, im Nachgang der Veranstaltung sind bei Jeanine Züst jedoch Rückmeldungen zusammengekommen: von Detailfragen zu Projekten bis hin zum Wunsch, selbst mitwirken zu dürfen. Einige zeigten sich etwas enttäuscht, dass nur drei Projekte im Detail vorgestellt wurden – sie hätten sich Breakout-Sessions gewünscht. Die Geschäftsleiterin der RigiPlus AG freut sich über alle Feedbacks: «Die Rigi-Konferenz soll jährlich stattfinden, und wir tasten uns nun mit den Teilnehmenden an die optimale Durchführungsart heran.»
«Wir mussten den gemeinsamen Nenner mit der Lupe suchen.»
Nachgefragt bei Jeanine Züst, Geschäftsleiterin RigiPlus AGund «Rigi-Diplomatin»
Jeanine Züst, mit der «Charta Rigi 2030» ist es Ihnen gelungen, nach einer verfahrenen Situation alle Beteiligten an einen Tisch zu bringen. Wie haben Sie das geschafft?
Ich denke, das Erfolgsrezept ist Vertrauen. Zu Beginn war es elementar, dass die Hochschule Luzern als «neutrale Stelle» die runden Tische angeleitet hat. Nach und nach konnte diese Rolle aber an einen lokalen Akteur – in unserem Fall die RigiPlus AG – abgegeben werden, weil das Vertrauen zurückkam. [IMG 2]
Was spielt die RigiPlus AG in der ganzen Sache für eine Rolle?
Sie bündelt durch ihre Aufgabe als Tourismusorganisation bereits viele Interessen, ist zudem Netzwerkerin auf und um die Rigi. Persönlich erachte ich es als meine Aufgabe, zu erkennen, in welchem Moment welche Partner gemeinsam an einen Tisch sitzen sollten, um ein Problem anzugehen oder Projekte voranzutreiben. Vielleicht nennt man mich deshalb die Rigi-Diplomatin.
Wie sind die Mitarbeiter der Hochschule Luzern genau involviert?
Sie waren insbesondere in der Anfangsphase, aber auch in der Erarbeitung der Grundlagen elementar. Während der letzten zwei Jahre haben Jürg Stettler, Fabian Weber und Florian Eggli uns ihr Know-how und ihre Expertise zur Verfügung gestellt und Werkzeuge mit uns erarbeitet, wie beispielsweise die Indikatorenliste oder die Projektspider, die nun in der Umsetzung massgeblich zum guten Gelingen beitragen. Das ist ein tolles Beispiel, um aufzuzeigen, wie sich Wissenschaft und Praxis ergänzen können.
Was würden Sie anderen Regionen und Destinationen für Tipps geben, die in einer ähnlichen Situation stecken?
Niemals aufgeben. Egal, wie verworren die Situation scheint. Ich bin überzeugt, es gibt immer einen kleinsten gemeinsamen Nenner. Wir mussten unseren damals mit der Lupe suchen. Die nachhaltige Entwicklung einer Destination oder Region voranzutreiben, braucht zudem einen langen Atem. Es ist Knochenarbeit und ein laufender Prozess – denn nach 2030 folgen 2040 und 2050.
Ihre Learnings aus den ersten Monaten mit den Arbeitsgruppen und Projekten?
Viele Arbeiten passieren im Hintergrund. Sie sind deshalb für die breite Öffentlichkeit nicht sichtbar. Wie oft habe ich den Spruch «Tue Gutes und sprich darüber» schon gehört – und er ist ja so wahr …
Sie haben demnach die Menschen auf und rund um die Rigi zu wenig gut informiert?
Aufgrund unserer knappen Ressourcen haben wir unsere Energie jeweils lieber in die Projekte gesteckt, als Medienmitteilungen aufzusetzen oder die Projektwebsite zu aktualisieren. Zwischenzeitlich haben wir aber gelernt, dass nicht nur die Projektergebnisse Vertrauen schaffen oder fördern, sondern auch der Einblick in die Projektarbeit selbst und die transparente Kommunikation über Erfolg und Misserfolg.
Christine Zwygart