Tanja Grandits hat unglaublich viel erreicht: Als erste Frau in der Schweiz hat der Gault Millau sie mit hohen 19 Punkten ausgezeichnet und sie zur «Köchin des Jahres» und zweimal zum «Koch des Jahres» gekürt. Der Guide Michelin zeichnet ihre Küche seit 2013 mit zwei Sternen aus. Heute führt die Spitzenköchin nicht nur erfolgreich das Restaurant Stucki in Basel, sondern auch einen Spezialitätenladen und einen Onlineshop.

«Ich hatte nie einen Plan und kein bestimmtes Ziel.»

Zudem gibt sie etwa alle zwei Jahre ein neues Kochbuch heraus. «Tanja vegetarisch» ist das bestverkaufte Sachbuch 2021. Wenn man die 51-jährige Spitzenköchin dann in ihrem Restaurant trifft, am Vormittag, wenn es in ihrem Betrieb noch ganz ruhig ist, und sie in ihrer schwarzen Kochkleidung erscheint, sagt sie zu alldem nur: «Ich hatte nie einen Plan und kein bestimmtes Ziel, das ich verfolgt habe. Das hat sich alles nach und nach entwickelt.» Diese äusserst erfolgreiche Frau mit dem sympathischen Gesicht, den zusammengebundenen Haaren und der grossen Brille ist überzeugt: «Erfolg kannst du nicht planen.»

Die Farben müssen stimmen
Seit 14 Jahren führt Tanja Grandits das «Stucki» in Basel, benannt nach dem legendären Schweizer Spitzenkoch Hans Stucki, der während Jahrzehnten hier gewirkt hatte. Sie taufte das Restaurant Bruderholz bei der Übernahme um und erneuerte und erfrischte das Interieur. Die Wände sind in sanften Farbtönen gehalten, alles ist aufeinander abgestimmt, man sitzt auf bequemen modernen Sesseln, die Tische sind viereckig statt einst rund, und auf den Tischen stehen frühlingshaft luftige Blumen.

Im «Stucki» entwickelte Tanja Grandits ihre typische monochrome Küche: Die einzelnen Gänge bestehen aus Lebensmitteln der gleichen Farbe. «Gleichfarbige Lebensmittel passen geschmacklich oft gut zusammen», erklärt sie. Und: «Wenn man sich auf eine Farbe festlegt, muss man kreativer sein, weil man in der Auswahl der Lebensmittel beschränkt ist.»

Lust auf die grosse, weite Welt
Basel ist ihre Heimat, doch Tanja Grandits ist auf der Schwäbischen Alb in Süddeutschland aufgewachsen. Hinter dem Haus wuchsen Obstbäume, es gab einen Gemüsegarten. Es kam meist Währschaftes auf den Tisch, oft sehr deftig. Die Gewürze, Kräuter und die Leichtigkeit von Gerichten, die Vielfalt von Zutaten, die Lust auf Kreatives und die Liebe zum Ausprobieren und Erfinden entdeckte Tanja Grandits erst später.

Damals war es vor allem die grosse, weite Welt, die sie reizte. So reiste sie nach der Schule als Au-pair nach Kalifornien. Hier merkte sie, wie gerne sie kocht. Ihre Gastfamilie freute sich über die Spätzle und die frischen und europäischen Gerichte, die Tanja Grandits zubereitete. «Es gibt nichts Schöneres, als jemanden mit Essen Freude zu bereiten», sagt die Spitzenköchin mit einem fröhlichen Lachen im Gesicht.

Köchin statt Chemikerin
Das Chemiestudium in Tübingen brach sie nach zwei Semestern ab. Sie begann im Luxushotel Traube Tonbach im Schwarzwald eine Kochlehre. Ihre nächste Station war die Küche des noblen «Claridge’s» in London, wo man regelmässig für die Queen und die Königsfamilie Speisen zubereitete.

Es war eine eigene Welt: Tanja Grandits war die einzige Frau in der 60-köpfigen Küchenbrigade, der Umgang war rau und unfreundlich, ihr Chef ein Choleriker. Dass sie die einzige Frau in einer Männerwelt war, störte sie nicht. Auch vom derben und unfreundlichen Umgangston liess sich die junge Köchin nicht beirren. «Ich habe das nie persönlich genommen, ich wusste ja, das hat nichts mit mir zu tun», erinnert sie sich. Ihre Taktik: «Ich reagierte stets mit Freundlichkeit.»

«Zeugnisse interessieren mich nicht»

Heute beschäftigt sie 43 Mitarbeitende und hat fortgesetzt, was sie in jungen Jahren gelernt hat: Freundlichkeit lohnt sich. Cholerische Zusammenschisse, wie sie sie früher bei ihren Vorgesetzten erlebt hat, gibt es bei ihr nicht. «Nur in angenehmer Atmosphäre kann man sein Bestes geben», erklärt sie.

Sie kann auf eine zuverlässige Crew zählen, die gerne bei ihr arbeitet – viele seit über zehn Jahren. Eine gute Chefin ist für sie jemand, der sich für die Mitarbeitenden interessiert und sich bewusst ist, dass es ohne sie nicht geht. Ihre Mitarbeitenden wählt sie nach Sympathie aus: «Zeugnisse interessieren mich nicht», sagt sie. Denn: «Es gibt ja eh ein Probearbeiten, bei dem man sieht, ob man zusammenpasst.»[DOSSIER]

Schnell gedacht, noch schneller umgesetzt
Musste sie sich in ihrer Laufbahn als Frau sehr durchkämpfen? «Ich musste nie kämpfen, ich will auch nicht kämpfen», antwortet die Wahlbaslerin. «Es ist eine Selbstverständlichkeit, dass ich das tue, was ich tue.» Sie hatte auch nie Lust, sich Gedanken über ihre Positionierung in der Männerwelt, über Unsicherheiten oder Zweifel zu machen. «Das Wichtigste ist: sich nicht beirren lassen und bei sich selbst bleiben.»

Weil sie eine Frau ist, musste sie sich oft – viel zu oft – die Frage anhören, wie sie denn alles unter einen Hut bringe: die aufreibende Arbeit mit den unregelmässigen Arbeitszeiten, den Onlineshop, die Kochbücher und alleinerziehend zu sein. Die Frage kann sie nicht mehr hören, eine Antwort gibt sie trotzdem: «Das geht nur, wenn man selbstständig ist.»

«Ich musste nie kämpfen, ich will auch nicht kämpfen»

So wenig, wie sie ihren Erfolg geplant hat, so wenig hat die Köchin langfristige Strategien. Sie setzt lieber einfach um. «Ideen sollte man nicht lange diskutieren, sonst sind sie irgendwann nicht mehr gut.»

Ihre Spontaneität ging in den Anfangszeiten im «Stucki» so weit, dass sie die neuen Rezepte jeweils erst in der Nacht, bevor die Menükarte wechselte, schrieb. Alle zwei Monate bedeutete dies für ihre Küchencrew die totale Überraschung: «Sie wussten überhaupt nicht, was kommen wird!» Das war stressig, zu stressig. «Das konnte ich ihnen nicht länger zumuten», sagt sie mit einem Lächeln und schüttelt den Kopf. Mittlerweile geht sie das Rezeptieren jeweils früher an.

«Ich bin ein extrem schneller Mensch und habe sehr klare Bilder»

Mit den Jahren ist sie auch gelassener geworden. Früher musste alles bis ins Detail genau so sein, wie sie es sich vorstellte. Wenn sie beispielsweise auswärts kochte, ertrug sie es nicht, auf Tellern zu servieren, die ihr nicht gefielen. «Ich musste also immer stapelweise Teller mitnehmen», erinnert sie sich. «Was für ein Aufwand!» Heute ist ihr das egal: «Ich kann auch mal fünf gerade sein lassen.»

Energie richtig eingesetzt
Privat- und Arbeitsleben fliessen bei Tanja Grandits ineinander über – auch örtlich. Ihre Wohnung befindet sich zwei Stockwerke oberhalb des Restaurants. Hier wohnt sie mit ihrer 16-jährigen Tochter Emma. Um halb sechs steht sie jeweils auf und nimmt sich eine Stunde Zeit für sich ganz alleine. «Ich mache Yoga, höre Musik, mache mir Tee, gehe ins Bad», erzählt sie. «Das gibt mir Energie für den ganzen Tag.»

Die Spitzenköchin ist auch privat kreativ: Mal gibt es zum Frühstück für sie und ihre Tochter Fried Rice, mal Pfannkuchen, mal ein Müsli mit vielfältigen Zutaten. Tochter Emma zieht es nicht in die Gourmetküche, ihre Passion sind die Pferde. Wie ihre Mutter im Sternzeichen Jungfrau geboren, gibt es auch bei ihr nichts Halbbatziges: Die Gymnasiastin verbringt pro Tag bis zu vier Stunden bei ihren Pferden.

«Die Zeit kann man nicht managen, die Zeit bleibt immer gleich. Es gibt aber Energiemanagement.»

Nach der Runde mit Hund Norma startet Tanja Grandits jeweils in den Arbeitstag, erledigt Administratives, arbeitet in Küche und Service und erledigt tausend weitere Dinge, die anfallen. Und schafft es dabei, eine grosse Portion Gelassenheit auszustrahlen. Sie hat offenbar ein ausgeklügeltes Zeitmanagement. «Nein, Zeit kann man nicht managen, die Zeit bleibt immer gleich. Es geht um das Energiemanagement. Ich kann mich aufladen, indem ich Dinge mit Leidenschaft, Neugier und Freude tue.»

Und dabei ist sie stets mit Tempo unterwegs: «Ich bin ein extrem schneller Mensch und habe sehr klare Bilder», sagt sie von sich. «Ich weiss immer, was ich kreieren will.»

Dabei staunt sie immer wieder, was sie bewirken kann. «Es gibt Frauen, die mir gesagt haben, mein vegetarisches Kochbuch habe ihr Leben verändert», erzählt sie. «Das berührt mich sehr.»

Sosehr sich Tanja Grandits über Auszeichnungen, Punkte und Sterne freut, so gut weiss sie, dass sie nicht das Wichtigste sind. «Sie sind nur Teil des Ganzen. Wichtiger ist es, dass man jeden Tag viele Gäste hat und die Mitarbeitenden mit Freude hier arbeiten.»


Steckbrief Tanja Grandits

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  • Alter: 51
  • Beruf: Köchin
  • Was ich mag: Alles, was von Herzen kommt
  • Was ich nicht mag: Unehrlichkeit
  • Was ich werden wollte: Was ich bin!
  • Was ich verpasst habe: Nichts
  • Darüber muss ich lachen: Über mich selbst
  • Auf diese Eigenschaft könnte ich verzichten: Auf keine
  • Im nächsten Leben werde ich …: ???
Text: Claudia Langenegger Bild: Susanne Keller