Sa Pa war vor nicht allzu langer Zeit ein idyllisches Bergdorf an der vietnamesisch-chinesischen Grenze. Mit der Vermarktung des Berges Fansipan als «Dach Indochinas» hielt von heute auf morgen der Massentourismus Einzug. Die Folgen sind drastisch. Ohne Gesamtkonzept poppen dank Investmentkonsortien Hotels, Resorts und Residenzen aus dem Boden und verwüsten das Landschaftsbild. Direktbusse aus Hanoi karren rauchausstossend Touristen für einen Kurzabstecher in die Höhe. Unter Rucksackreisenden herrscht Einigkeit: Wer die «echte Bergwelt» Vietnams erleben will, der lässt Sa Pa links liegen und fährt nach Ha Giang.

Leidtragende dieser Entwicklung sind nicht bloss Natur und Umwelt, sondern die Hmong-Völker, welche die Seitentäler Sa Pas seit Generationen als Reisbauern bewohnen. In ärmsten Verhältnissen lebend, wird diese Volksgruppe von der Regierung weitestgehend ignoriert und hat keine Chance, am ökonomischen Aufschwung teilzuhaben. Hier beginnt die Geschichte von Giang, einer jungen Hmong-Frau, die ihr Schicksal selbst in die Hand genommen hat.

Wir treffen Giang in Sa Pa. Die nächsten Tage verbringen wir mit ihrer Familie auf deren Hof an den steilen Hängen von Lao Chai, einen Tagesmarsch von Sa Pa entfernt. Als Tagelöhnerin hat Giang vor der Pandemie bei einem Trekkinganbieter gelegentlich Touren begleitet. Sie sorgte für den «lokalen Touch». Dabei hat sie sich selbst Englisch beigebracht. Sie bemerkte, dass es durchaus Leute gibt, die sich nicht nur für Bier in möglichst komfortablen «homestays», sondern für die Kultur und Lebensweise des Hmong-Volkes interessieren. So entsteht der Traum, unabhängig Touren anzubieten und dabei Einblicke in die Lebensweise ihrer Familie zu geben.

Ihr Glaube an sich selbst und das notwendige Glück tragen dazu bei, dass die Idee Früchte trägt. Auf einem Treck lernt Giang die Engländerin Katie kennen, welche die Website «Sapa Tribal Trekking» ins Leben ruft. Seither kann man Chiang direkt via Whatsapp oder E-Mail für individuelle Trekkings und Einblicke in das Leben ihrer Familie buchen. Noch ist die Kundschaft unregelmässig. Doch die Anstrengung lohnt sich. Das Geld geht vollumfänglich an Giangs Familie und ermöglicht unter anderem Schulbildung für ihre drei Kinder. Denn vom vietnamesischen Staat werden die Hmong nicht unterstützt.

Das Geld geht vollumfänglich an Giangs Familie und ermöglicht unter anderem Schulbildung für ihre drei Kinder.

Highlight
Einfach, aber effektiv – mittels Whatsapp interagiert Giang auch ohne Büro und Infrastruktur einfach, rasch und persönlich mit ihren Kunden.
Missing
Kultur und Sprache der Hmong werden von der Regierung nicht anerkannt. Es ist für Giang zum Beispiel unmöglich, einen Pass zu beantragen.
Aufgefallen
Die Tradition der Hmong sowie «nose to tail» in Ehren: Hühnerinnereien zum Frühstück sind nun wirklich nicht jedermanns Sache. 

Wir haben das Glück, dass wir mit der Familie das chinesische Neujahrsfest feiern dürfen. Dick eingepackt sitzen wir bis spätabends im einzigen grossen Raum des elterlichen Hofes. Bei nasskaltem Wetter wärmen wir uns mit Reisschnaps und einem Schwein, das wortwörtlich «nose to tail» verwertet wurde. Giangs Schwiegervater gibt in der Sprache der Hmong Geschichten zum Besten. Sie versucht sich lachend als Übersetzerin. Essen und Trinken brauchen Überwindung, an Authentizität ist der Abend jedoch nicht zu überbieten.

Für Giang und ihre Familie ist es ein Glück, dass die junge Frau deren Schicksal selbst in die Hand genommen hat. Punkto touristischer Entwicklung jedoch ist die Situation in Sa Pa bedenklich. Nur unter Einbezug der lokalen Bevölkerung kann Tourismus nachhaltig für den Aufschwung einer ganzen Region sorgen. Für uns selbstverständlich, für andere Regierungen und Systeme leider ein Gedanke in weiter Ferne.

 

[IMG 2] Gemeinsam mit seiner Partnerin Lena-Maria Weber reist Patric Schönberg mit dem Rucksack für ein Jahr um die Welt. Der ehemalige Leiter Kommunikation von HotellerieSuisse berichtet aus seiner persönlichen Perspektive über Dinge, die auffallend anders sind als bei uns. Interessierte können die gesamte Reise auf Instagram unter @losnescos mitverfolgen.