Das Ringen um Marktanteile zwischen den Hotels und den 
grossen Online-Buchungsplattformen geht weiter – zunehmend auch mit propagan
distischen Mitteln. Anfang Mai publizierte die Londoner Analysefirma Infrata Ltd. eine Studie zu den Kosten der Hoteldistribution. Deren Kernaussage: Direktbuchungen kommen den Hotelier unter dem Strich nicht günstiger als Buchungen über OTAs. Die Studie gipfelt in einer verbalen Breitseite gegen die Hotels: «Es scheint, dass der Hauptanreiz für Hoteliers, Direktbuchungen zu fördern, darin liegt, Transparenz und Vergleichbarkeit für Verbraucher zu reduzieren, und den Wettbewerb zwischen Hotels einzuschränken.»

Ergebnis und angriffiges Fazit überraschen nicht, wenn man den Absender der Publikation kennt. Finanziert wurde die Studie nämlich von der European Technology and Travel Services Association ETTSA, die unter anderem die Interessen der Online-Buchungsplattformen (OTAs) vertritt. Bemerkenswert ist hingegen das zahlen- und faktengestützte Vorgehen der Studienautoren, welches ihren Schlussfolgerungen wissenschaftliche Glaubwürdigkeit verleihen soll.

Gravierende systematische Mängel und «Voodoo-Wissenschaft»
Die Reaktionen aus der Branche liessen nicht lange auf sich warten. Markus Luthe, Geschäftsführer des deutschen Hotelverbands IHA, reagierte in einem Blogbeitrag (Titel: «Fremdschämen») scharf: «Können sich wirklich weltweit Abertausende von Hoteliers in einer solch wichtigen Frage systematisch und noch dazu so erheblich irren? Müssten die Hoteliers ihre eigenen Kostenstrukturen und individuellen Märkte nicht eigentlich besser kennen?» Luthe wirft den Studienautoren «gravierende systematische Mängel» vor. Laut seinen eigenen Schätzungen liegen die Kosten des Direktvertriebs um mindestens ein Fünftel bis ein Drittel unter denen des günstigsten Fremdvertriebs. «Da wäre also noch mehr als reichlich Vorteilhaftigkeits-Luft nach oben zu den 15 – 25 Prozentpunkten Kommission, die Hoteliers für jede Buchung an die OTAs abdrücken müssen», resümiert Luthe.

Noch weiter geht Max Starkov, Präsident und Geschäftsführer des New Yorker Reise-Beratungs- und -Marketingunternehmens HEBS Digital. Gestützt auf die Daten seiner Hotelkunden beziffert er die durchschnittlichen ­Direktvertriebskosten auf lediglich 4,5 Prozent des Buchungswerts. Darin seien sämtliche ­Kosten ­enthalten, inklusive für Beratung, Website-Entwicklung, Cloud-Hosting, Analysewerkzeuge, Suchmaschinenoptimierung (SEO), Suchmaschinenmarketing (SEM) und Marketing über die übrigen Kanäle. Die Infrata-Studie, die von wesentlich höheren Kosten ausgeht, kanzelt Starkov kurzerhand als «Voodoo-Wissenschaft» ab. Die scharfe internationale Kritik teilt auch der Schweizer Branchenverband hotellerie
suisse. Es grenze an Hohn, dass die Studie unter dem Anschein der Wissenschaftlichkeit herausgegeben worden sei, findet Thomas Allemann, Mitglied der Geschäftsleitung. Die Studie stecke voller Halbwahrheiten.

15 Prozent Kommission für eine «Direktbuchung»
Doch wie genau sieht die Realität bei den Schweizer Hoteliers aus? Eine Stichprobe beim Wellnesshotel Golf Panorama in Lipperswil (TG) zeigt: Es ist kompliziert. Den Vorwurf der Studienautoren, die Hoteliers zielten mit Direktbuchungen in erster Linie darauf ab, Transparenz zu verhindern, weist Caroline Spatz zurück. «Das würde ich an Stelle der OTAs auch behaupten», amüsiert sich die Gastgeberin des 4-Sterne-Superior-Betriebs. Tatsache sei, dass seit dem Wegfall der weiten Preisparitätsklausel der Wettbewerb zugenommen habe und die Kunden davon profitierten. «Wir bieten heute auf der eigenen Website günstigere Preise als die OTAs an», so Spatz. Allerdings, relativiert sie, dürfe man den tatsächlichen Kostenaufwand für den ­Direktvertrieb auch nicht unterschätzen. «Der Gast wacht nicht eines Tages auf, geht auf www.golfpanorama.ch und bucht ein Zimmer.» Stattdessen google er nach Angeboten in Destinationen und lasse sich von dem inspirieren, was ihm angezeigt wird. Damit das eigene Hotel in den Suchergebnissen von Google und Bing weit oben erscheint, müsse man Geld investieren. Und jedes Mal, wenn der Gast nicht auf den Direktlink des Hotels klickt, sondern den Umweg über Dienste wie Trivago, Kayak oder Tripadvisor nimmt, fielen zusätzliche Kosten an. Unter Umständen zahle man am Ende bis zu 15 Prozent Kommission für eine Buchung über die eigene Website, je nachdem, wie direkt beziehungsweise indirekt der Kunde auf die Hotel-Website gelangt ist.

Eine Investition in die unternehmerische Eigenständigkeit
Sind Hotels womöglich doch ganz gut damit beraten, auf aufwendige und kostspielige Massnahmen zur Stärkung des Direktvertriebs zu verzichten und sich stattdessen auf den zwar nicht unbedingt günstigeren, aber bequemeren Vertrieb über die OTAs zu konzentrieren, ganz so, wie es sich die Auftraggeber der Studie wünschten? Caroline Spatz verneint. «Wir investieren in den Direktvertrieb, damit wir nicht in totale Abhängigkeit von Booking und Expedia geraten. Denn wenn sich die Online-Buchungsplattformen dazu entschliessen, die Kommission weiter anzuheben, sitzen sie am längeren Hebel.» Ihr Kollege Robert Kneubühler vom Hotel Alpenblick Bern pflichtet ihr bei: «Die Kommissionen der OTAs sind in den vergangenen Jahren immer weiter gestiegen.» Nehme die Marktmacht der Plattformen weiter zu, könne man davon ausgehen, dass sich diese Entwicklung fortsetzt. «Letztendlich geht es um die unternehmerische Unabhängigkeit, die Eigenständigkeit», ist Kneubühler überzeugt. In diesem Punkt liegen die beiden Schweizer Hoteliers auf einer Linie mit dem Deutschen Markus Luthe: «Für mich sind diese Ausgaben eines Hotels [in den Direktvertrieb] unabdingbare Investitionen in die eigene unternehmerische Freiheit, um sich nicht in völlige Abhängigkeit von Intermediären und deren nach oben offenen Kommissionsspiralen zu begeben. Sie können deshalb nicht zur Disposition stehen und sind in diesem Kontext entscheidungsirrelevant und somit [aus der Studie] herauszurechnen.

Die Hauptaussage der Studie zu den Buchungskosten lenkt also vom eigentlichen Anliegen der Hotellerie ab. Thomas Allemann von hotelleriesuisse will ihr trotz allem etwas Positives abgewinnen: «Es ist gut, dass man über das Thema redet. Es muss ein Ruck durch die Branche gehen, damit das Bewusstsein für die Bedeutung der Direktbuchungen weiter wächst.»

E-Commerce-Report 2018: «Wahrnehmung des Ausgeliefertseins»
Am Dienstag hat die Fachhochschule Nordwestschweiz ihren «E-Commerce-Report Schweiz 2018» veröffentlicht. Gegenüber dem letztjährigen Report hat sich die Einschätzung des Online-Geschäftsumfelds der gut 30 beteiligten Unternehmen – darunter die Swiss, SBB, TUI, STC und Hotelplan – deutlich eingetrübt. Aus dem Bereich der Schweizer Hotellerie berichtet die Studie von einer «Wahrnehmung des Ausgeliefertseins» gegenüber den marktbeherrschenden Buchungsplattformen. Der Hotelier verliere zunehmend die Kontrolle über seinen Vertrieb. «Unter diesen Umständen kann von einer Zwangssituation gesprochen werden», schreiben die ­Autoren, und weiter: «In der Schweiz ist die Beziehung zwischen OTAs und Hotellerie als Ganzes vergiftet und von Misstrauen geprägt.»
Auftraggeberin des Reports 
ist die auf Internetzahlungen spezialisierte Datatrans AG in Zürich. 
e-commerce-report.ch