Angenommene Volksinitiativen haben in der Schweiz immer Verfassungsänderungen zur Folge. Diese können jedoch nicht unmittelbar angewendet, sondern müssen zuerst auf Gesetzesstufe umgesetzt werden, wie das Bundesamt für Justiz (BJ) am Dienstag mitteilte.
Weil die Kantone für die Nutzung des öffentlichen Raums zuständig sind, liege es primär auch an ihnen, das Verhüllungsverbot in ihren jeweiligen Gesetzen zu konkretisieren. Das muss gemäss der Initiative innerhalb von zwei Jahren geschehen. Falls sich die Kantone dabei eine «materielle Koordination» wünschten, dann biete ihnen das BJ bei diesem Prozess seine Unterstützung an.
Der Bundesrat selber dürfe ohne verfassungsmässige Grundlage nicht selber ein Bundesgesetz für ein Verhüllungsverbot im gesamten öffentlichen Raum erlassen. Ob es ein solches zum Beispiel für den öffentlichen Verkehr brauche, werde zur Zeit im BJ geprüft.[RELATED]
Tourismuskantone gefordert
Bei der Abstimmung ging es bei dem Argument der kantonalen Entscheidungshoheit auch um den Tourismus. Ein breites Komitee unter dem Dach des Schweizer Tourismus-Verbands engagierte sich gegen das Verhüllungsverbot.
Vor allem im Berner Oberland und in der Genfersee-Region befürchtet man nach dem Nein, dass Touristinnen und Touristen aus den Golfstaaten fernbleiben. Diese Gäste aus dem Nahen und Mittleren Osten sind laut Schweiz Tourismus ein wichtiger und wachsender Markt. Die Zahl der Besucher aus arabischen Staaten habe seit 2017 um 130 Prozent zugenommen.
Die Tourismusverbände betonten mehrfach, dass die Schweiz für ein offenes und tolerantes Gastland stehe, welches anderen Kulturen aufgeschlossen gegenübersteht und seine Gäste nicht nach Merkmalen wie Geschlecht, Religion oder Herkunft beurteilt.
Kritik vom UN-Menschenrechtsbüro
Am Dienstag meldete das UN-Menschenrechtsbüro in Genf zum Abstimmungsresultat. Das vom Schweizer Stimmvolk angenommene Verhüllungsverbot sei im Hinblick auf die Menschenrechte problematisch, sagte eine Sprecherin.
«Die Schweiz gehört jetzt zu einer kleinen Zahl von Ländern, in denen die aktive Diskriminierung von Musliminnen rechtens ist», kritisierte Sprecherin Ravina Shamdasani. «Das ist sehr bedauerlich.» Die Abstimmungskampagne sei mit deutlich fremdenfeindlichen Untertönen geführt worden.
Das Verhüllungsverbot zielt auf Musliminnen ab, die ihr Gesicht hinter einem Ganzkörperschleier wie einem Nikab oder einer Burka verstecken. Der Verein, der die Volksabstimmung vergangenen Sonntag durchgesetzt hatte, wollte damit ein Zeichen gegen den radikalen Islam setzen. Die Vorlage wurde mit 51,2 Prozent angenommen. Die Regierung war dagegen. Ähnliche Verbote gibt es in Frankreich, Österreich und anderen Ländern. (sda/dpa/npa)