Nicole Brändle Schlegel ist Leiterin Arbeit, Bildung, Politik bei HotellerieSuisse
Ich bin stolz darauf, wie erfolgreich die Schweiz darin ist, auf kleinster Fläche so viele Kulturen, Sprachen, Lebens- und Denkweisen zu vereinen und zum eigenen Vorteil zu nutzen. Als kleines Land mit wenig Rohstoffen lernten unsere Vorfahren früh, wie wichtig internationale Vernetzung für den wirtschaftlichen Erfolg ist. Als Folge davon sind wir heute als offenes, vernetztes Land bekannt, das anderen Kulturen aufgeschlossen begegnet. Diese Eigenschaften sind Teil unserer DNA und wirken sich auch auf die Art und Weise aus, wie wir als Beherbergungsbranche ausländische Gäste herzlich willkommen heissen.
Leider wird uns dies zurzeit mehrheitlich verwehrt. Die Nachfrage ausländischer Touristinnen und Touristen ist aufgrund der gegenwärtigen Krise dramatisch eingebrochen. Tag für Tag stehe ich mit verzweifelten Mitgliedern in Kontakt, die ums Überleben kämpfen. Sie können es kaum erwarten, endlich wieder Menschen aus der ganzen Welt empfangen zu dürfen. Dazu gehört auch das wachsende Gästesegment aus den Golfstaaten. Für viele Hotels bereichert dieses Segment den Gästemix. Abhängigkeiten von preissensiblen europäischen Gästen werden reduziert. Für diese Hotels wäre eine Annahme der Initiative besonders schmerzhaft.
Dies ist einer der Gründe, weshalb wir uns im Tourismuskomitee «Nein zum Burkaverbot» gegen die Verhüllungsinitiative einsetzen. Die aktuellen Umfragewerte – wonach eine Mehrheit der Schweizer Bevölkerung ein solches Verbot gutheisst – lassen aufhorchen. Das bedeutet für uns, dass wir noch einiges an Arbeit leisten müssen. Im Rahmen unserer Kampagne zeigen wir auf, weshalb die Initiative schädlich für den Schweizer Tourismus ist.
Die Vorlage ist zudem unverhältnismässig und unnötig. Das Initiativkomitee geht davon aus, dass Niqab-Trägerinnen zum Tragen dieses Kleidungsstücks gezwungen werden. In einer aktuellen Studie der Universität Luzern wird dies widerlegt: So hat Islamwissenschaftler Andreas Tunger-Zanetti herausgefunden, dass die allermeisten Frauen in Europa die Vollverschleierung aus eigenen Stücken wählen. Es ist nicht an mir, dies zu bewerten.
Ein Verhüllungsverbot führt nicht zu mehr Gleichberechtigung zwischen Frau und Mann. Wegen 20 bis 30 in der Schweiz wohnhaften Niqab-Trägerinnnen unsere Bundesverfassung ändern zu wollen, ist völlig absurd. Umso mehr, als genau diese Verfassung «Offenheit» und «gegenseitige Rücksichtnahme und Achtung ihrer Vielfalt in der Einheit» als wichtige Werte unserer gesellschaftlichen Ordnung festlegt. Diese liberalen Verfassungsrechte gilt es hochzuhalten. Ein Burkaverbot wird muslimische Frauen nicht freier machen. Sie wird aber unser Image als offenes Land beschädigen, besonders in der muslimischen Welt. Die Initianten wollen uns glauben machen, dass mit dieser Initiative Schweizer Werte verteidigt werden. Genau das Gegenteil ist der Fall. Diese beschneidet die Werte unserer modernen Gesellschaft empfindlich.
Der Gegenvorschlag hingegen nimmt das Problem auf und sorgt dafür, dass im Gleichstellungsgesetz neue Möglichkeiten zur Förderung der Gleichstellung ergänzt werden. Während ich diese Zeilen verfasse, naht der 50. Jahrestag des Frauenstimmrechts in der Schweiz. Wer rund um diesen wichtigen Jahrestag etwas für Gleichstellung tun will, stimmt Nein zur Verhüllungsinitiative und Ja zum indirekten Gegenvorschlag.