Rund 13 Prozent der aus der Ukraine geflüchteten Personen zwischen 18 und 64 haben laut Angaben des Staatssekretariats für Migration (SEM) in der Schweiz eine Arbeit gefunden. Mit anderen Worten: 87 Prozent sind nicht erwerbstätig.
Gemäss Ron Prêtre, Leiter Projekt & Personal des Hotel Sonnenberg in Kriens, liegt in der aktuellen Situation «ein riesiges Potenzial». Auf seine Initiative hin entstand im Raum Luzern ein Arbeitsintegrationsprojekt spezifisch für Geflüchtete aus der Ukraine.
Konzept lag praktisch fertig in der Schublade
Im April war Ron Prêtre mit Leuten in Kontakt gekommen, die Deutschkurse für Personen mit Schutzstatus S organisierten. So entstand die Idee, ein Pilotprojekt für den Einstieg ins Gastgewerbe zu starten.
Das Konzept dazu habe praktisch fertig in der Schublade gelegen: Denn bereits vor rund vier Jahren war ein Projekt für einen achtwöchigen Lehrgang für Quereinsteiger entstanden. «Vor Corona interessierte sich niemand dafür», sagt Prêtre. Nun aber konnte er das 5-Sterne-Hotel Schweizerhof in Luzern sowie zwei Lokale der Tavolago-Restaurants als Praktikumsbetriebe gewinnen. «Wir hätten noch mit mehr Betrieben zusammenarbeiten können, alle fanden es toll», sagt Prêtre.
Für ein Quereinsteigerprojekt interessierte sich vor Corona niemand.
Aus rund 100 ukrainischen Bewerberinnen wählte das Kursleiterteam des Hotel Sonnenberg zwölf Personen für die Tätigkeiten Hauswirtschaft, Küche und Service aus. Mitte August konnte der Lehrgang starten.
Im Hotel Sonnenberg, seit 2007 ein Ausbildungsbetrieb für die berufliche Integration von Stellensuchenden, finden die theoretischen Kursteile statt. 250 Lektionen umfasst der Lehrgang, ein Intensiv-Deutschkurs ist Teil davon. Im Kurs hätten die Teilnehmenden einerseits Grundlagen gelernt, wie man sich auf eine Stelle bewirbt, wie Lohn abgerechnet wird und wie es sich mit den Sozialversicherungen verhält. Andererseits hätten sie aber auch ganz praktisch Schweizer Besonderheiten wie das «Herrgöttli» und das «Panaché» kennengelernt.
Deutschkenntnisse zentral für berufliche Integration
Inzwischen haben die zwölf Kandidatinnen den Kurzlehrgang abgeschlossen. «Mindestens eine Person erhält eine Festanstellung», sagt Prêtre. Bemerkenswert sei dabei, dass ihr Deutschniveau bereits B1 erreicht habe. [RELATED]
Die Sprachkenntnisse sieht er denn auch als zentrale Herausforderung auf dem Arbeitsmarkt. Rund ein Viertel der Personen aus der Ukraine, die arbeiten, haben ihre Beschäftigung gemäss SEM im Gastgewerbe gefunden. «Den anderen könnte unser Kurs helfen.» Prêtre stört es nicht, wenn das Arbeitsintegrationsprojekt als «Schnellbleiche» bezeichnet wird. «Wir müssen ehrlich sein: Wir können nicht in acht Wochen aus einer Vorarbeiterin eines Bergwerks eine Köchin machen», sagt er mit Blick auf die beruflichen Vorerfahrungen einer Teilnehmerin. Doch nach den acht Wochen sei sie in der Lage, als Hilfsköchin in einer Küche zu arbeiten und dabei die Anweisungen des Souschefs zu verstehen.
Zuverlässig und mit Erfahrung aus anderen Berufen
Prêtre freut sich über die Einsatzbereitschaft, die Motivation und die Zuverlässigkeit der Absolventinnen. «Sie haben alle schon gearbeitet und wissen, was das heisst. Einige haben bereits Gastroerfahrung», sagt Prêtre. In den acht Wochen habe es unter allen Teilnehmerinnen insgesamt nur fünf Absenztage gegeben. Leistungs-, Lernbereitschaft und Motivation seien hoch gewesen.
Er geht davon aus, dass es im Raum Luzern 2023 einen weiteren Kurs geben wird. Das sei aber auch davon abhängig, ob der Bundesrat den Schutzstatus S für die ukrainischen Flüchtlinge verlängern werde.
Prêtre hofft, dass der Pilotkurs Schule machen wird und sich Hotels in anderen Regionen auf vergleichbare Weise zusammenschliessen. Dazu würde er auf Wunsch und Anfrage auch Know-how beisteuern. Am Projekt hat sich der Bund nicht finanziell beteiligt – dieser sieht zwar kantonale Sprachkurse, aber keine Arbeitsintegration vor. Zwei Stiftungen sowie die beiden Verbände Luzern Hotels, eine Sektion von HotellerieSuisse Region Zentralschweiz, und Gastro Luzern haben laut Prêtre je mit einem vierstelligen Betrag die Kosten für den Pilotkurs getragen.
Der ZHV könnte sich eine solche Initiative auch in Zürich vorstellen.
Andere Regionalverbände mit verhaltenem Interesse
Ob das Pilotprojekt aus dem Raum Luzern auf andere Regionen ausstrahlt und Nachahmer findet, ist noch offen. Für viele regionale Hotellerie-Verbände steht das Thema offenbar nicht zuoberst auf der Prioritätenliste. Martin von Moos, Präsident der Zürcher Hotellerie, sagt auf Anfrage: «Der ZHV sieht im Luzerner Projekt einen guten Beitrag gegen den aktuellen Mangel an Arbeitskräften und könnte sich eine solche Initiative auch in Zürich vorstellen. Gleichzeitig unterstützt der ZHV weiterhin das erfolgreich lancierte Quereinsteigerprogramm, welches Leuten aus anderen Branchen einen Einstieg in unsere Branche ermöglicht.»
Basislehrgang Reset mit Theorie und Praktika
In der Region Basel besteht mit dem Basislehrgang Reset seit Juni 2022 ein vergleichbares Angebot. Der Lehrgang für den Einstieg in die Gastronomie beziehungsweise Hotellerie wurde auf Initiative der inhabergeführten Gastronomie- und Hotellerie-Gruppe Wyniger und ihrem Non-Profit-Verein Malian in Zusammenarbeit mit der Hotel & Gastro Formation Schweiz konzipiert.
Laut Nadine Minder vom Basler Hotelier-Verein richtet sich der Lehrgang an Flüchtlinge, vorläufig aufgenommene Personen und Sozialhilfebezüger. Dabei erhalten Teilnehmende eine theoretische achtmonatige Basisausbildung im Gastgewerbe. Weiter gehören zur Ausbildung zwei sechswöchige Betriebseinblicke. Der Lehrgang ist für Teilnehmende und Betriebe kostenlos, die Finanzierung wie auch Entlöhnung der Teilnehmenden erfolgt durch die Sozialhilfe der Kantone Basel Stadt und Basel Landschaft.
4726
der rund 60 000 Schutzsuchenden aus der Ukraine gehen in der Schweiz einer Erwerbsarbeit nach.
24 %
davon sind im Gastgewerbe beschäftigt. Damit ist die Branche die wichtigste Arbeitgeberin für diese Personengruppe.
7 %
der geflüchteten Ukrainerinnen und Ukrainer sprechen gut bis sehr gut Deutsch. Weitere 21 Prozent können sich in alltäglichen Situationen auf Deutsch verständigen. 35 Prozent sprechen gut bis sehr gut Englisch, weitere 18 Prozent können sich in Alltagssituationen auf Englisch verständigen.
68 %
der Personen haben eine tertiäre Bildung abgeschlossen. Viele davon verfügen über einen Hochschulabschuss in Wirtschafts- oder Rechtswissenschaften respektive einen Abschluss als Ingenieurin oder Ingenieur.