Andrea Leyssens (47) verbrachte ihre Kindheit in verschiedenen Bünder Hotelbetrieben, darunter auch im Hotel ABC in Chur. Lars Michel (27) wurde im Hotel Gletschergarten in Grindelwald, seit 1899 in Familienbesitz, gross.
Leyssens übernahm 2020 zusammen mit ihrem Ehemann den Pachtbetrieb von ihren Eltern Kurt und Helen Künzli. Michel plant, im kommenden Dezember zusammen mit seinem Bruder das ehemalige Hotel Fiescherblick in Grindelwald neu zu eröffnen, nur wenige Meter vom Hotel seiner Eltern Gery und Gaby Michel entfernt, die sich bereits mit dem Thema Nachfolgeregelung auseinandersetzen.
Andrea Leyssens, Lars Michel, beschreiben Sie Ihre Kindheit im Hotel!
Andrea Leyssens: Ich war im Kindergarten, als meine Eltern auf der Schatzalp das Berghotel übernahmen. Ich habe nur positive Erinnerungen an diese Zeit. Durch die Abgeschiedenheit der Schatzalp eröffnete sich mir eine eigene Erlebniswelt. Danach haben meine Eltern den Aufbau des Golfhotels Waldhuus in Davos mitgestaltet und die Direktion übernommen. Die Entwicklung dieses 4-Sterne-Hotels seit der Eröffnung mitzuverfolgen, hat mich stark geprägt. Das damalige Hotel Davos Face war die nächste Station. Während dieser Zeit habe ich gelernt, was man mit Leidenschaft, viel Kraft, Risiko und Hingabe erreichen kann. Schlussendlich haben meine Eltern das Hotel ABC in Chur übernommen. Dessen Verwandlung über die Jahre mitzuerleben, war dann doch ausschlaggebend für meine weitere Karriere als Hotelière.
Lars Michel: Für mich war und ist das Hotel Gletschergarten in Grindelwald wie ein Zuhause. Obwohl wir als Kinder direkt neben dem Hotel wohnten, assen wir jeweils mit den Eltern und Grosseltern gemeinsam im Hotel zu Mittag.
Halfen Sie als Kind gelegentlich im elterlichen Betrieb mit?
Andrea Leyssens: Gelegentlich hatte ich einen Ferienjob bei der Minigolfanlage. Und ich erinnere mich, dass ich auf der Schatzalp oft in das abendliche Gästeprogramm miteingebunden wurde. Dann half ich an Lotto- oder Buffetabenden, bei Gästepferderennen oder an Hochzeiten mit.
Lars Michel: Als Teenager half ich zusammen mit meinen Brüdern während der Wochenenden oder Schulferien im Betrieb mit und konnte so mein Sackgeld aufbessern. Die verschiedenen Sprachen und die Offenheit im Umgang mit Menschen haben mich seit jeher geprägt.
Waren Ihre Eltern berufsbedingt häufig abwesend?
Andrea Leyssens: Ja und nein. Es war uns als Familie immer wichtig, dass wir uns jeweils zum Mittag- und Abendessen im Hotel sehen und austauschen. Die Feiertage kamen aber sicher etwas zu kurz. Auch den Alltag mit der Familie habe ich als Kind vermisst.
Lars Michel: Im Gegenteil! Meine Eltern waren zwar immer beschäftigt, aber wir mussten nie warten, bis sie von der Arbeit nach Hause kamen, sondern konnten einfach ins Hotel gehen, falls wir sie brauchten. Die Feiertage wurden jeweils im Hotel gefeiert. Und zu Weihnachten erhielten wir Kinder die Geschenke immer etwas früher als unsere Freunde, da wir mit der Familie gemeinsam vor Saisonstart feierten.
Gab es während Ihrer Kindheit einen Lieblingsort im Hotel?
Andrea Leyssens: Als Kind schaute ich immer gerne in der Küche vorbei. Heute halte ich mich am liebsten an der Réception auf, dem Herzstück des Hotels.
Lars Michel: Im Estrich tauchte ich gerne in die 120-jährige Geschichte unseres Hotels ein. Natürlich mochte ich auch das Spielzimmer. Nicht viele meiner Freunde hatten damals einen Billard- oder Tischtennistisch. Da wurden die besten Geburtstagspartys gefeiert. Die Glacetheke war jeweils auch ein beliebter Ort. Dort hatte man die Auswahl zwischen allen möglichen Glacesorten.
Den elterlichen Pachtbetrieb weiterzuführen, war sowohl ein emotionaler wie auch ein unternehmerischer Entscheid.
Andrea Leyssens, Gastgeberin Hotel ABC, Chur
Wann stand fest, dass Sie eines Tages in die Hotellerie einsteigen werden?
Andrea Leyssens: Das war ein schleichender Prozess. Meine Berufswahl wurde zwar nie von meinen Eltern beeinflusst. Dennoch war die Hotellerie schon immer ein Teil meines Lebens. Ich wollte sicher sein, dass dieser Berufsweg auch wirklich mein eigener Wunsch ist.
Lars Michel: Für mich war das schon immer klar. Meine Eltern sind beide Branchenquereinsteiger. Mein Vater arbeitete vor dem Einstieg in den Familienbetrieb bei den Jungfraubahnen, meine Mutter war Lehrerin. Sie förderten unsere Berufswünsche und freuten sich, als feststand, dass ihr Lebenswerk eines Tages in fünfter Generation weitergeführt wird. Explizit von einem von uns verlangt haben sie dies aber nie. Es ist schön, wenn das Interesse an einer Übernahme da ist. Man kann aber niemanden zwingen, einen Betrieb zu übernehmen – es muss von Herzen kommen.
Nach der Handelsmittelschule in Davos absolvierte Andrea Leyssens (47) die Hotelfachschule Luzern. Bevor sie 2020 zusammen mit ihrem Ehemann die Leitung des elterlichen Pachtbetriebs des 4-Sterne-Hotel ABC in Chur übernahm, hielt sie unter anderem die Direkton im Sunstar Hotel in Flims inne. Andrea Leyssens ist Mutter zweier Kinder.
Der Grindelwalder Lars Michel (27)entschied sich nach der Maturität für die Ausbildung an der Hotelfachschule Luzern. Der Hotelier sammelte erste Branchenerfahrungen unter anderem im Hotel The Omnia in Zermatt und im Hotel Polo in Ascona. Im Dezember 2022 eröffnet er mit seinem Bruder Matthias das Hotel Fiescherblick, direkt neben dem elterlichen Hotel Gletschergarten in Grindelwald.
Frau Leyssens, 2020 haben Sie gemeinsam mit Ihrem Mann Jago das Hotel ABC in Chur von Ihren Eltern übernommen. Was festigte Ihren Entschluss, das Hotel der Unternehmerfamilie Foppa wie Ihre Eltern als Pachtbetrieb weiterzuführen?
Andrea Leyssens: Während meiner Ausbildung in der Hotelfachschule Luzern habe ich ein Praktikum bei meinem Vater im Hotel ABC absolviert. Dabei habe ich das Entwicklungspotenzial in diesem Haus entdeckt. Den elterlichen Pachtbetrieb weiterzuführen, war für mich sowohl ein emotionaler als auch ein unternehmerischer Entscheid. Mit ein Grund war sicher auch das gute Einvernehmen zwischen meinen Eltern und den Hoteleigentümern, der Unternehmerfamilie Foppa, welches ich und mein Mann nun fortführen. Ich durfte bereits früh miterleben, wie im Hotel permanent investiert und somit die Wettbewerbsfähigkeit ständig verbessert wurde. Durch den langfristigen Pachtvertrag ergeben sich für uns unternehmerische Sicherheiten.
Hat Sie ein eigener Betrieb nie gereizt?
Andrea Leyssens: Mein Mann und ich haben die Möglichkeit, das Hotel ABC wie unser eigenes Haus zu führen.
Herr Michel, Sie wiederum bauen gemeinsam mit Ihrem Bruder Matthias derzeit das Hotel Fiescherblick gleich neben dem elterlichen Hotel Gletschergarten um. Eröffnung ist am 22. Dezember. Warum haben Sie sich für einen eigenen Betrieb entschieden?
Lars Michel: Dass eines Tages eines von uns drei Kindern den Betrieb in fünfter Generation übernehmen und in ihrem Sinne weiterführen wird, stand immer fest und wurde innerhalb der Familie stets offen kommuniziert. Doch muss für alle Seiten der Zeitpunkt stimmen. Unsere Eltern sind noch jung und wollen noch ein paar Jahre im Hotel Gletschergarten tätig sein. Für meinen Bruder und mich ergab sich durch die Übernahme des Hotel Fiescherblick, das ganze zwölf Jahre lang leer stand, eine einmalige Möglichkeit, unsere Ideen bereits jetzt zu verwirklichen. Im Hotel Fiescherblick werden wir möglichst viele Synergien mit dem Hotel unserer Eltern nutzen. Der betriebsübergreifende Generationenwechsel geschieht erst nach der Pensionierung meiner Eltern. Mit dieser Lösung sind wir alle glücklich.
Wäre das Modell Pachtbetrieb für Sie nicht infrage gekommen?
Lars Michel: Den eigenen Betrieb zu führen, bedeutet, sein eigener Chef und Gastgeber zugleich sein zu können. Bei einem Pachtbetrieb käme eine weitere Partei ins Spiel, die ihre eigenen Interessen vertritt. Die sind nicht immer kongruent mit den unseren.
Dass eines Tages eines von uns Kindern den elterlichen Betrieb in fünfter Generation übernehmen wird, stand immer fest.
Lars Michel, Mitinhaber und bald Gastgeber Hotel Fiescherblick, Grindelwald
Was machen Sie als Hotelière und Hotelier anders als Ihre Eltern?
Andrea Leyssens: Aufgrund meiner persönlichen Erfahrungen versuche ich als Hotelière und Mutter sicher, mehr Zeit für meine Familie und meine beiden Kinder aufzubringen.
Lars Michel: Die Zeiten ändern sich. In der Hotelfachschule Luzern habe ich viele neue Inputs erhalten, in erster Linie betreffend Digitalisierung, Nachhaltigkeit und alternative Arbeitszeitmodelle. Ich werde versuchen, diese nach Möglich keit als Unternehmer umzusetzen.
Hatten es Ihre Eltern einfacher?
Andrea Leyssens: Nein, bestimmt nicht. Die Voraussetzungen, einen eigenen Betrieb aufzubauen, waren sogar eher schwieriger. Allerdings hatten sie es einfacher, gute Mitarbeitende zu finden. Dies ist die grösste Herausforderung unserer Generation.
Lars Michel: Während einer Krise zu jammern, dass früher alles einfacher war, ist nicht der richtige Ansatz. Als junge Hoteliers haben wir heute viele Chancen. Der Personalmangel war noch nie so akut wie jetzt. Als Arbeitgeber müssen wir uns den Bedürfnissen der jungen Menschen von heute anpassen. Es ist Zeit, insbesondere bei den Arbeitszeitmodellen in der Hotellerie neue Wege zu gehen.
Wie wichtig ist Ihnen der Rat Ihrer Eltern als Hoteliers heute?
Andrea Leyssens: Ich kann von den Erfahrungen meiner Eltern nur profitieren. Auch denke ich, dass die Unterstützung des Partners wichtig für eine erfolgreiche Tätigkeit als Gastgeber ist.
Lars Michel: Ihr Rat ist mir sehr wichtig. Theorie ist das eine, aber Praxis lügt nie. Gerade jetzt vor der Neueröffnung holen wir uns sehr oft den Rat unserer Eltern. Sie kennen die wichtigen Details und Eigenheiten des Standortes. Was nicht heisst, dass wir nicht auch Neues wagen werden.
Wie wichtig ist eine klare Übergabe für die erfolgreiche Nachfolgeregelegung?
Andrea Leyssens: Für uns war es für beide Seiten wichtig, einen klaren Schnitt zu machen. Dies hat stark dazu beigetragen, dass die Zusammenarbeit zwischen meinen Eltern und meinem Mann und mir immer noch bestens funktioniert.
Lars Michel: Ich finde es wichtig, dass die jüngere Generation in ihrer neuen Tätigkeit freie Hand hat. Nur so kann sie sich in ihrer neuen Rolle finden. Viele Betriebe scheitern bei der Nachfolgeregelung daran, dass die übergebende Generation nicht loslassen kann.
Wie lautet Ihr Tipp an alle Hoteliersfamilien, die demnächst vor der Nachfolgeregelung stehen?
Andrea Leyssens: Für eine erfolgreiche Nachfolgeregelung in einem Betrieb müssen klare Voraussetzungen betreffend der operativen und der strategischen Tätigkeiten definiert werden.
Lars Michel: Das Thema Nachfolgeregelung sollte früh genug an den Familientisch gebracht und gemeinsam ausgearbeitet werden. Der älteren Generation wünsche ich, dass sie loslassen und ihren Nachfolgern Vertrauen und Unterstützung schenken kann. Der jüngeren Generation wünsche ich Mut, auch Neues zu wagen. Ich lege ihr aber auch nahe, das Lebenswerk ihrer Vorgänger zu würdigen.
Herausforderungen bei der Nachfolgeregelung
[IMG 2] Töchter werden weniger berücksichtigt als Söhne
Männliche Familienmitglieder werden bei der Nachfolgeregelung in KMU und Grossbetrieben immer noch bevorzugt. Dies geht aus der aktuellen PWC-Studie «Generation Töchter» zum Rollenverständnis von Nachfolgerinnen in Schweizer Familienunternehmen mit 189 Teilnehmerinnen hervor. Für ein Viertel der Studienteilnehmerinnen ist die männliche Nachfolgegeneration eine grössere berufliche Konkurrenz als weibliche Familienmitglieder. 80 Prozent der Befragten ohne männlichen Nachfolger in der Familie ziehen einen späteren Einstieg ins Unternehmen in Betracht. Bei den Studienteilnehmerinnen mit einem oder mehreren Brüdern sind es lediglich 18 Prozent. PWC zieht daraus folgende mögliche Schlüsse: Nachfolgerinnen lassen ihren männlichen Pendants den Vortritt, Nachfolgerinnen ohne männliche Pendants haben weniger Konkurrenz, oder aber Töchter werden gar nicht erst zur Nachfolgerin erkoren, wenn männliche Nachfolger am Start sind.
Die Zukunftsplanung rechtzeitig anpacken
Viele Familien- und Pachtbetriebe im Gastgewerbe setzen sich laut dem Unternehmenscoach und ehemaligen Hotelier Adrian Stalder von Stalderprojects zu spät mit der Nachfolgeregelung auseinander. Das Thema stand im Branchenspiegel 2021 von Gastrosuisse unter den Herausforderungen im Gastgewerbe erst an 13. Stelle. Branchenkenner Adrian Stalder rät deshalb:
• Frühzeitig am Thema Nachfolgeregelung arbeiten. «Der Prozess sollte nicht erst angegangen werden, wenn Inhaber oder Betreiber nicht mehr wollen oder nicht mehr können.»
• Die Nachfolge-Generation bezüglich ihrer Bedürfnisse und Erwartungen abholen und Szenarien für die Übergabe entwickeln.
• Spezialisten hinzuziehen, damit verschiedene Möglichkeiten aufzeigt werden können, die für beide Generationen stimmig sein könnten.
Wohin mit der eigenen Unternehmerenergie?
Die persönliche und emotionale Seite beim Nachfolgeprozess ist vielen Übergebenden nicht sofort bewusst. Was geschieht mit der übrig bleibenden Unternehmerenergie, die man sich über Jahrzehnte angeeignet hat? Auch die Identifikation mit der eigenen Arbeit kann den Prozess des Loslassens erschweren. «Das Loslassen gewinnt erst dann an Leichtigkeit, wenn die Zukunft Aktivitäten beinhaltet, bei denen das unternehmerische Gen sinnerfüllend weiter eingesetzt werden kann», sagt Walter Bolinger von Nachfolgebegleiter. Und: «Wenn man begriffen hat, wie man abgekoppelt von Umsatz, Rentabilität und Wachstum Unternehmerin oder Unternehmer sein könnte, ergeben sich neue Freiheiten.»