Der Schweizer Tourismus kann und will nicht auf Gäste aus Übersee verzichten. Zu verlässlich, zu ausgabefreudig ist die Kundschaft aus den Fernmärkten. Schweiz Tourismus strebt einen Übersee-Gästeanteil von 20 Prozent an, dies mit dem Segen des Bundes. Dabei will sich die Schweiz aber auch als die «nachhaltigste Reisedestination der Welt» positionieren. Und somit steht der Tourismus vor einem Dilemma: Noch sind Fernreisen mit dem Flugzeug sehr schlecht fürs Klima.

Da Raffinerien herkömmliches Kerosin aus Erdöl herstellen, gelangt mit dem Verbrennen im Triebwerk Kohlenstoff aus dem Untergrund in Form von CO₂ in die Atmosphäre. Der Kohlenstoff wäre für immer gespeichert geblieben, wenn ihn die Menschen nicht gefördert und genutzt hätten. Seit Beginn der Industrialisierung sind mit dem Verbrennen von fossilen Energieträgern wie Kohle, Gas und Erdöl Millionen Tonnen zusätzliches CO₂ in die Atmosphäre gelangt, mit der bekannten Folge, dass durch den Treibhauseffekt die Durchschnittstemperaturen weltweit steigen. 

Kein zusätzliches CO₂
Synthetische Kraftstoffe (Syn­fuels) sollen einen Flugverkehr ermöglichen, der kein zusätzliches CO₂ in die Atmosphäre bringt. Synfuels sind Kraftstoffe wie Kerosin oder Benzin, die aus industriell hergestellten Kohlenwasserstoffverbindungen bestehen. Dient CO₂ aus der Luft als Ausgangsstoff, gelangt durch die Verbrennung des Synthetik-Treibstoffs kein zusätzliches CO₂ in die Atmosphäre.

Damit synthetische Kraftstoffe tatsächlich gut fürs Klima sind, ist es jedoch wichtig, dass auch der Herstellungsprozess selbst unter dem Strich CO₂-neutral ist – unter anderem muss die benötigte Energie aus sauberer Quelle stammen, etwa Strom aus Windenergie oder Fotovoltaik.

Noch stehen Hersteller von Synfuels vor wirtschaftlichen Herausforderungen. So ist die Produktion von synthetischen Treibstoffen mit Strom (Power to Liquid, PtL) aufwendig und ineffizient: Durch die Umwandlung von Sonnenenergie in elektrische und dann in chemische Energie resultiert ein tiefer Wirkungsgrad, was den künstlichen Sprit verteuert.

Das Schweizer Unternehmen Synhelion erhofft sich mit einer Reihe von Innovationen, in naher Zukunft synthetischen Treibstoff zu marktfähigen Preisen herstellen zu können. Anders als bei der PtL-Methode nutzt Synhelion die Sonnenenergie ohne den Umweg über den Strom. Ein System von Spiegeln richtet sich im Laufe des Tages kontinuierlich auf den aktuellen Sonnenstand aus und leitet die Energie gebündelt zu einem Receiver.

Das eingefangene Sonnenlicht verwandelt sich in Wärme. Diese sorgt in einem Reaktor für eine chemische Reaktion: Aus Kohlendioxid und Wasser entsteht Synthesegas, ein Gemisch aus Kohlenmonoxid und Wasserstoff. Daraus kann in einem herkömmlichen Gas-to-­Liquid-Prozess synthetisches Kerosin hergestellt werden. Da der Receiver einen beträchtlichen Teil der Wärme an einen Speicher weiter- leitet, läuft die chemische Reaktion im Reaktor auch dann weiter, wenn die Sonne gerade nicht am Himmel steht. Eine kontinuierliche Produktion wird möglich.

Nach Angaben von Synhelion erreichten solche Spiegelsysteme bislang Temperaturen von bis zu 600 Grad. Dank einer Idee von Synhelion-CEO Gianluca Ambrosetti schafft das Unternehmen die für die chemische Reaktion benötigten Temperaturen von bis zu 1500 Grad – analog zum Treibhauseffekt in der Atmosphäre nutzt das Synhelion-System Gase, um die Temperatur im Innern der Anlage zu steigern.

In der Testanlage in Jülich in Deutschland verwendet Synhelion CO₂, welches als Abfallprodukt bei der Papierherstellung entsteht. Dieses CO₂ würde sonst in der Kehrichtverbrennung freigesetzt. In Zukunft will Synhelion das CO₂ direkt aus der Luft einfangen. Das ETH-Spin-off «Climeworks» arbeitet an der Entwicklung dieser Technologie.

Anlage in Spanien geplant
Mit der Testanlage hat Synhelion das Herstellungsverfahren unter realen Bedingungen grundsätzlich erprobt. Im kommenden Jahr will das Unternehmen eine erste industrielle Anlage mit einer Produktionskapazität von jährlich mehreren Tausend Litern fertigstellen. Bis 2026 soll in Spanien eine erste kommerzielle Anlage in Betrieb gehen. Diese soll bis zu 1,25 Millionen Liter Solartreibstoff pro Jahr herstellen. 

Synhelion und andere Synfuels-Hersteller können sich der Nachfrage gewiss sein. Die EU-Verordnung «ReFuelEU Aviation» schreibt Flugkraftstoffanbietern vor, ab 2025 das Angebot an nachhaltigem Treibstoff sukzessive zu erhöhen. Der Anteil soll von 2 Prozent im Jahr 2025 auf 70 Prozent im Jahr 2050 steigen.

Als grosser Vorteil von Synfuels gegenüber anderen Energieträgern wie Strom oder Wasserstoff im Bereich der Luftfahrt gilt der Umstand, dass damit die herkömmliche Infrastruktur funktioniert. Das Flugzeug muss somit nicht erst neu erfunden werden.

Nachhaltigste Destination der Welt werden
Für die nächsten vier Jahre erhält Schweiz Tourismus (ST) im Rahmen der Standortförderung 233 Millionen Franken vom Bund. Damit soll ST unter anderem mit «Swisstainable» eine nachhaltigkeitsorientierte Tourismus- und Produktentwicklung in der Schweiz fördern. Die Schweiz soll sich als «die nachhaltigste Reisedestination der Welt» positionieren. Mit einem angestrebten Logiernächte­anteil von 20 Prozent bleiben Gäste aus den Fernmärkten für den Schweizer Tourismus von entscheidender Bedeutung.

ST soll sie laut Botschaft des Bundesrates zur Standortförderung denn auch in Zukunft bewerben. «Gäste aus den Fernmärkten buchen mit erheblichem zeitlichem Vorlauf, was den Leistungsträgern Planungssicherheit gibt, und sie reisen während des ganzen Jahres, das heisst, auch in den Nebensaisons und an Wochentagen.» Dies ermögliche den Leistungsträgern oft einen Ganzjahres­betrieb. Die Tagesausgaben seien gegenüber jenen der übrigen Gäste deutlich höher. ST solle die Verlängerung der Aufenthaltsdauer der Gäste sowie «klimafreundliche Reiseformen fördern, um insbesondere bei Gästen aus Fernmärkten die CO₂-Bilanz pro Übernachtung zu verbessern». Noch verursachen Fernreisen pro Passagier mehrere Tonnen CO₂-Emissionen: Shanghai–Zürich retour: 3 Tonnen, Delhi: 2 Tonnen, San Francisco: 3,1 Tonnen.


Nachgefragt bei Cyrill Brunner

Warum können synthetische Treibstoffe einen Beitrag zum Klimaschutz leisten?
Bei der Herstellung von synthetischen Treibstoffen wird CO₂ aus der Atmosphäre gefiltert. Bei der Verbrennung wird das Gas dann wieder freigesetzt, sodass dieser Zyklus Filtern/Verbrennen der Atmosphäre unter dem Strich weder zusätzliches CO₂ zufügt noch wegnimmt. Synthetische Treibstoffe können so hergestellt werden, dass sie CO₂-neutral sind.   [IMG 2]

Nun ist CO₂-neutral leider nicht gleich klimaneutral, insbesondere bei der Luftfahrt: Das ausgestossene Kohlendioxid macht nur rund ein Drittel der Klimawirkung von Passagierflugzeugen aus. Der Rest stammt von Stickoxiden und insbesondere von Kondensstreifen. Weil synthetische Treibstoffe sauberer verbrennen, gibt es jedoch weniger davon. Synthetische Treibstoffe können einen grossen Beitrag zum ausreichenden Klimaschutz leisten, aber keinen vollständigen.

Welche Anforderungen bestehen an die Herstellung?
Abgesehen davon, dass Kohlendioxid aus der Luft gefiltert wird, muss auch die Herstellung der synthetischen Treibstoffe klimaneutral sein. Das heisst, die Anlagen müssen beispielsweise mit CO₂-freiem Strom oder mit Wärme betrieben werden, die Anlagen müssen mit grünem Stahl und Zement hergestellt werden, und im ganzen Prozess darf kein Methan entweichen. Entweicht dieses unverbrannt in die Atmosphäre, wirkt es dort als starkes Treibhausgas.

In der Realität lassen sich nicht alle Emissionen komplett vermeiden. Null Emissionen sind extrem herausfordernd bis unmöglich. Daher sind netto null Emissionen das Ziel: Wir entfernen zusätzlich eine gleichwertige Menge an CO₂ aus der Atmosphäre im Umfang der noch verbleibenden Restemissionen. So wirkt es aufs Klima, wie wenn wir keine Treibhausgase emittiert hätten.

Fossile Energieträger sind einst aus Biomasse entstanden. Warum gelten diese als nicht klimaneutral?
Fossile Energieträger sind nicht klimaneutral, weil sie Kohlen­dioxid freisetzen, das über Millionen von Jahren gespeichert war. Das zusätzliche CO₂ in der Atmosphäre verstärkt nun den Treibhauseffekt.

Null Emissionen sind extrem herausfordernd bis unmöglich.

Ist Verbrennung von Biomasse, beispielsweise Holz, überhaupt klimaneutral?
Nein. Nur wenn wir so viel Holz verbrennen, wie gleichzeitig nachwächst, ist Klimaneutralität erreicht. Für Schweizer Holz stimmt das heutzutage. Global verbrennen wir aber weitaus mehr Holz, als nachwächst. Von all dem zusätzlichen CO₂, welches durch unsere Tätigkeiten inzwischen in die Atmosphäre gelangt ist, stammt ein Sechstel von verbrannter Biomasse und degradierten Böden. Auch dieses CO₂ wirkt als Treibhausgas.

Ist CO₂ aus der Papierherstellung ein klimafreundlicher Ausgangsstoff?
Es kommt drauf an, woher es stammt: Wurde es ein paar Jahre vor der Verbrennung aus der Atmosphäre gefiltert, ist es vereinfacht betrachtet klimaneu­tral. Stammt es jedoch aus einem anderen Kohlenstoffreservoir als der Atmosphäre, beispielsweise aus der Geologie und aus einem nun gerodeten Wald, so gibt es anschliessend mehr CO₂ in der Atmosphäre als zuvor.

Also spielt es für die Beurteilung des Synthetiktreibstoffs eine Rolle, ob das Papier aus nachhaltig bewirtschaftetem Holz stammt oder nicht? 
Ja. CO₂-neutral wäre nur Treibstoff, welcher mit CO₂ aus Papier hergestellt wurde, das aus nachhaltig bewirtschaftetem Holz stammt. Ob das Papier sowieso verbrannt worden wäre, spielt keine Rolle. Wäre die Bewirtschaftung nicht nachhaltig, wäre die Emission bei der Papierverbrennung nicht CO₂-neutral, das Verbrennen des Synfuel eine sogenannte verzögerte CO₂-Emission.

Wie lässt sich «zusätzliches» CO₂ von «vorhandenem» unterscheiden?
Ähnlich wie bei den Finanzen hilft es, eine Buchhaltung durchzuführen. Alles CO₂, das vom Menschen in die Atmosphäre gelangt, muss durch menschliche Tätigkeiten auch wieder aus der Atmosphäre entfernt werden. Das sind netto null Emissionen. Die Entfernung kann auch indirekt geschehen, beispielsweise indem wir neue Bäume pflanzen, oder indem wir einen natürlichen Wald so bewirtschaften, dass er unter dem Strich mehr Kohlendioxid aus der Atmosphäre entfernt. Einen unberührten Wald dürfen wir hingegen nicht anrechnen, da dieser Teil eines natürlichen Ökosystems ist, welches nicht nur CO₂ aufnimmt, sondern auch ähnlich viel abgibt.