Annabella Bassler, Equal Voice will Frauen mehr Sichtbarkeit in den Medien verschaffen. Warum ist das wichtig?
Über 70 Prozent aller Berichterstattungen in Schweizer Medien betreffen Männer. Besonders auffällig ist dies in der Sportberichterstattung. Dort werden nur 4 Prozent Athletinnen abgebildet, obwohl sie 40 Prozent aller Wettkampfsportler ausmachen. In der Wirtschaftsberichterstattung zeigt sich ein ähnliches Bild mit einer Vertretung von Frauen von lediglich 20 Prozent. Dieser Gender Visibility Gap muss geschlossen werden. Die Equal-Voice-Initiative macht mit dem Equal Voice Factor, der den Anteil von Frauen und Männern in der Medienberichterstattung misst, diese Diskrepanz sichtbar. Die Equal-Voice-Initiative ermöglicht eine Auseinandersetzung mit dem Thema, die ausschliesslich auf Fakten basiert.

Medien arbeiten massgeblich am Bild unserer Welt mit. Wäre es nicht Aufgabe der Schulen und damit letztlich der Politik, die Gleichberechtigung durchzusetzen?

Die Förderung und Umsetzung der in der Verfassung verankerten Gleichberechtigung ist eine zentrale Aufgabe der Schulen und der Politik. Dabei kommt den Schulen eine entscheidende Rolle bei der Vermittlung von Werten wie Gleichberechtigung, Respekt und Toleranz zu. Durch inklusive Bildungsansätze, welche Vielfalt und Gleichheit betonen, leisten Schulen einen wichtigen Beitrag zur Bekämpfung von Diskriminierung und zum Aufbau einer gerechteren Gesellschaft. Die Politik ist gefordert, geeignete rechtliche und institutionelle Rahmenbedingungen zu schaffen, um Schulen bei dieser Aufgabe zu unterstützen.

Wie gelingt es, die Stereotypen von Frau und Mann aus unseren Köpfen zu eliminieren?

Seeing is believing: Wir möchten Rollenbilder zeigen, die gängige Stereotypen aufbrechen und die Realität abbilden. Generell gehen wir mit dem Gedanken «Es ist ein Marathon und kein Sprint» an das Thema heran. Ebenso behalten wir stets das Spielerische und das Positive im Blick: Bei Ringier konnten wir bei einigen Medienmarken den Equal Voice Factor und damit die Sichtbarkeit von Frauen enorm erhöhen. Beispielsweise hatte die «Handelszeitung» im Jahr 2019 einen Frauenanteil von 17 Prozent. Heute sind es 30 Prozent, was dem realen Anteil von Frauen auf Managementebene entspricht.

Flache Hierarchien fördern eine offene Kommunikation und Zusammenarbeit.

Geschlechterdiversität in einem Betrieb umzusetzen, ist das eine, wie aber gelingt dies in einer ganzen Branche?

Wir bemühen uns, auch andere Medienunternehmen zu gewinnen, den Equal Voice Factor zu nutzen. Mittlerweile messen 32 Medientitel in sieben Ländern, die zusammen etwa 50 Millionen User und Userinnen erreichen, mithilfe unseres Equal Voice Factor. Dies ist ein grosser Erfolg, wenn man bedenkt, dass es die Initiative erst seit November 2019 gibt. Es ist uns jedoch auch wichtig, dass wir alle gemeinsam am gleichen Ziel arbeiten. Andere Medienhäuser haben eigene Prozesse entwickelt, um dies voranzutreiben. Meines Erachtens ist es entscheidend, dass gemessen wird, damit eine teilweise noch emotional geführte Diskussion rationalisiert werden kann.

Was muss passieren, damit sich die Dinge ändern?

Um Veränderungen herbeizuführen, müssen wir zunächst das Bewusstsein schärfen. Führungskräfte sollten reflektieren: Höre ich allen Stimmen zu, oder privilegiere ich nur die lautesten? Es ist entscheidend, Strategien zu entwickeln, um eine gleichberechtigte Teilhabe unabhängig von sozialer Identität zu gewährleisten. Transparente Rekrutierungsverfahren sind hierbei unerlässlich, um gleiche Chancen für alle zu sichern. Zudem sind Massnahmen zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie entscheidend, um die Beteiligung von Frauen auf allen Ebenen des Unternehmens zu stärken. Es geht immer wieder um die Frage «How to fix the system». Mir hilft hier als Gedankenleitbild die Frage, ob ich jeden Tag ein Arbeitsumfeld kreiere, das auch für die Generation meiner Kinder passen wird.

Weg von der klassischen Machtordnung: Inwiefern spielt der Wunsch der Gen Z nach flacheren Hierarchien den Frauen in die Hände?

Flache Hierarchien können dazu beitragen, traditionelle Machtstrukturen aufzubrechen. Das kann Frauen den Zugang zu Führungspositionen erleichtern. Ausserdem fördern sie eine offene Kommunikation und Zusammenarbeit. So haben Frauen mehr Raum, ihre Ideen einzubringen und aufzusteigen. Meines Erachtens geht es aber auch viel um Wertschätzung – und diese wünschen wir uns alle, unabhängig von Alter und Geschlecht.

Sollten sich Frauen mit mehr Verantwortung im Job zufriedengeben? Müssten nicht viel eher Können und Wissen im Vordergrund stehen?

Frauen sollten sich nicht nur mit mehr Verantwortung zufriedengeben, sondern vor allem nach beruflicher Zufriedenheit streben, die auf ihren Fähigkeiten und Leistungen basiert. Die Aufgabe der Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber ist es, alle Mitarbeitenden unabhängig vom Geschlecht ihrem Können und Wissen entsprechend zu fördern.

Gemischte Teams seien erfolgreicher, liest man. Gibt es Beweise für diese Behauptung?

Ja, es gibt viele Studien, die zeigen, dass gemischte Teams erfolgreicher sind. Das liegt daran, dass sie verschiedene Perspektiven und Erfahrungen einbringen, was oftmals zu kreativeren Lösungen führt. Auch die Entscheidungsfindung wird verbessert, und Probleme können besser gelöst werden. Gemäss diesen Studien sind gemischte Teams innovativer, produktiver und leistungsstärker.

Wo stehen Sie in Sachen Equal Voice United 2025, Ihrem Ziel, die Gleichstellung der Geschlechter voranzutreiben?

Wir arbeiten mittlerweile mit insgesamt 18 Unternehmen aus verschiedenen Branchen zusammen. Alle diese Unternehmen haben sich dazu verpflichtet, Chancengleichheit und Gleichberechtigung zu fördern und eine Kultur der Integration zu schaffen.

Darf ich mich auch als Mann in der Community engagieren?

Natürlich! Es geht nur im Miteinander! Männer, die sich für dieses Thema einsetzen, sind unerlässlich. Wir haben die Initiative bewusst Equal Voice und nicht Female Voice genannt, weil wir allen die gleiche Stimme geben möchten. Oftmals leiden auch Männer unter den vorherrschenden Stereotypen. Viele Studien zeigen, dass auch sie von einem ausgewogenen Verhältnis, beispielsweise mehr Teilzeitarbeit, profitieren.

Wo stehen der Tourismussektor und die Hotellerie im Speziellen in Sachen Geschlechterdiversität?

Konkrete Zahlen kenne ich leider nicht. Ich gehe aber davon aus, dass der Tourismussektor wie viele andere Branchen ebenfalls von geschlechtsspezifischen Ungleichheiten geprägt ist und sich gerade auf Managementebene ein ähnliches Bild zeigt.

Anfang 2024 sind rund 18 Unternehmen Teil des Equal-Voice-Netzwerkes. Kann ich mich als Hotelier oder Hotelière engagieren?

Unbedingt! Wir haben bisher noch kein Unternehmen aus der Hotelbranche an Bord und würden uns sehr über eine Mitgliedschaft freuen!

Gleichstellung, Innovation und Transformation
Dr. Annabella Bassler ist seit 2012 Chief Financial Officer bei der Ringier AG. Sie zeichnet sich durch ihr Engagement, ihr innovatives Denken und ihre profunde Erfahrung in der Transformation aus. Sie treibt die digitale Transformation der Ringier-Gruppe voran, wobei der Fokus auf Strategie, M&A-Aktivitäten und Finanzmanagement liegt. Darüber hinaus hat Bassler die Initiative Equal Voice ins Leben gerufen. Diese zielt darauf ab, die Stimmen von Frauen in den Medien zu stärken und die Gleichstellung der Geschlechter zu fördern. Annabelle Bassler ist Mitglied in verschiedenen Verwaltungsräten. [IMG 2]

Am 13. Juni spricht Annabella Bassler über die Rolle von Unternehmen zur Stärkung und Gleichstellung von Frauen.

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Gaston Haas