Seit Anfang Juli verbindet mit «Matterhorn Alpine Crossing» eine Seilbahn die Schweiz mit Italien. Ab 2024 werden asiatische Touristen auf der Durchreise von Mailand nach Paris Zermatt besuchen können. Und – aus Sicht der Destination – idealerweise auch im Walliser Dorf am Fuss des Matterhorns übernachten. Ab nächstem Jahr wird ein Gepäcktransport auf der rund 1,5-stündigen Seilbahnfahrt von Cervinia im Aostatal nach Zermatt zur Verfügung stehen.

Vorerst werden Tagesausflügler auf der Strecke unterwegs sein und in beiden Richtungen die Gletscherwelt durch den Glasboden bewundern können. Gäste aus der Schweiz können mit einem Tagesausflug nach Cervinia «italienisches Flair geniessen», wie es auf der Website von Matterhorn Alpine Crossing heisst, und dies rund ums Jahr. [RELATED]

Wertschöpfung im Winter höher
Die ganzjährige Auslastung zu verbessern, ist denn auch das Ziel der neuen Verbindung, die für die Zermatter Bergbahnen eine Investition von annähernd 200 Millionen Franken bedeutet.

Die Wertschöpfung ist für die Bahnen im Sommer tiefer.
Markus Hasler, CEO Zermatt Bergbahnen

Mehr als 30 Prozent soll künftig der Sommer zum Gesamtumsatz beitragen. Laut CEO Markus Hasler liegt der Sommeranteil aktuell knapp unter 30 Prozent. «Die Anzahl Gästezutritte im Verhältnis zum Winter bewegt sich in einer Spannbreite von 37 bis 48 Prozent. Die Wertschöpfung pro Gast ist für die Bergbahnen im Sommer also tiefer als im Winter.» Was die gesamte Destination betrifft, so lag in Zermatt im Geschäftsjahr 2021/2022 die Verteilung der Logiernächte Winter/Sommer bei 57/43 Prozent.

Den Sommertourismus wollen auch andere Bergdestinationen weiterentwickeln, um stagnierende oder gar rückläufige Umsätze im Winter auszugleichen. Im Saastal ist der Anteil der Logiernächte im Sommer inzwischen gestiegen, wie Marketingleiter Mattia Storni auf Anfrage mitteilt. Derzeit liege die Aufteilung der Logiernächte im Saastal im Geschäftsjahr 2021/2022 bei 58 Prozent (Winter) und 42 Prozent (Sommer). Im Geschäftsjahr 2018/2019 hatten die Logiernächte im Sommer erst 39 Prozent erreicht.

Wir können mit Ganzjahrestourismus qualifizierte Arbeitskräfte binden.
Mattia Storni, Leiter Marketing Saastal

Gemäss der «sehr klaren Destinationsstrategie» will das Saastal das Sommer- und das Herbstgeschäft proaktiv vorantreiben, im Winter liegt der Fokus laut Storni auf der laufenden Qualitätsverbesserung der bestehenden Angebote und dem Ausbau der Erlebnisse. «Mit einem ganzjährig ausgerichteten Tourismus können wir qualifizierte Arbeitskräfte mit Jahresverträgen binden und die Rentabilität der Betriebe erhöhen.» In den letzten Jahren habe das Saastal zahlreiche neue Produkte wie Mountainbiketrails, Murmeliweg und das Abenteuerland Kreuzboden entwickelt, was eine allmähliche Annäherung an einen ganzjährig ausgerichteten Tourismus ermögliche.

Gstaad sieht sich bereits jetzt für den Sommer «sehr gut aufgestellt». Nebst zahlreichen Anlässen im Gstaader Eventsommer wie etwa dem Swatch Beach Pro Gstaad oder dem Menuhin Festival ist die Destination im Sommer auch ein Fondueland: An XXL-Fonduecaquelon-Standorten können Gäste ein Fondue mittels mietbarer Fondue-Rucksäcke geniessen. Gemäss Marketing & Sales-Leiterin Ariane Ludwig will Gstaad nun den Herbst weiter stärken und ausbauen: 2023 fahren die Postautos erstmals bis Ende Oktober zum Lauenensee.

Titlis: Angebote für Ü-60
Die Region Engelberg-Titlis hat nach eigenen Angaben eine kontinuierliche Auslastung rund ums Jahr erreicht. Gemäss Andres Lietha, Direktor der Engelberg Titlis Tourismus AG, investiert die Destination viel in das Geschäftsfeld Bergsommer. «Hier ist der Gast anspruchsvoller geworden, und ein gutes Wanderwegnetz mit einigen Seen reicht nicht mehr. Familienattraktionen, Biketrails, Themenwege, Kulinarik und Kultur werden kontinuierlich ausgebaut und vermarktet.» Ein wichtiges Potenzial berge zudem das Gästesegment Ü-60. «Dieses Segment möchten wir in Zukunft gezielt fördern», so Lietha weiter.

Tatsächlich raten Experten, nicht nur den Ausbau der Angebote für ein jüngeres Publikum beziehungsweise Familien voranzutreiben. Sogenannte Silver Ager haben Geld – und Zeit, dieses auch ausserhalb der Schulferien auszugeben.


Nachgefragt bei Jürg Stettler

Viele Skidestinationen sind schon länger daran, den Sommertourismus zu entwickeln, um den Umsatzverlust der immer kürzeren Winter auszugleichen. Rettet das die Skigebiete?
Herausfordernd dabei ist, durch den Ausbau des Sommerangebots genügend zusätzliche Logiernächte und Erträge generieren zu können, um die Verluste im Winter zu kompensieren. Den Bergbahnen droht, dass sie im Sommer Geld verlieren. Denn die Infrastruktur ist auf die höheren Frequenzen im Winter ausgerichtet: Es müssen oft auch im Sommer mehrere Anlagen in Betrieb sein. Weil aber die Nachfrage kleiner ist, sind die Erträge geringer.

Die Klimaerwärmung könnte dazu führen, dass die früheren Mittelmeer-Badegäste zunehmend in den Bergen Ferien machen werden. Aber vielleicht braucht es bis dahin noch ein paar Jahre. Das Sommergeschäft ist allerdings sehr wetterabhängig. Bislang besteht im Sommer kein Druck, frühzeitig zu buchen, die touristischen Leistungsträger tragen das Wetterrisiko. Zudem bieten viele Destinationen die Leistungen durch die diversen Gästekarten sehr günstig an, was teils eine indirekte Finanzierung durch Gemeinden nötig macht. Man kommt also nicht darum herum, das Sommergeschäft zu entwickeln. Es ist aber nicht so einfach, dass es für alle finanziell aufgeht.

Zermatt hat Millionen in die Seilbahnverbindung Matterhorn Alpine Crossing investiert. Sind massive Investitionen unumgänglich?Zermatt hat sich als Premium-Destination positioniert. Eine Topinfrastruktur ist erforderlich, bei entsprechenden Kosten. Bergbahnen müssen ihre Anlagen regelmässig ersetzen. Die neuen Bahnen sind meistens leistungsfähiger und teurer. Das bedeutet immer einen Kostenschub. Hinzu kommen in vielen Skigebieten die Kosten für die künstliche Beschneiung. Somit sind grosse Investitionen unumgänglich, aber problematisch.

Es bräuchte insbesondere Angebote, die das ganze Jahr über funktionieren.

Fordert der Klimawandel Indoor-Alternativen zum Skifahren, zum Beispiel Kletterhallen und Erlebnisbäder?
Es bräuchte insbesondere Angebote, die das ganze Jahr über funktionieren und die sich bei ausbleibendem Schnee leicht von Winter- auf Sommerbetrieb umstellen lassen: Aus dem Winterwandern oder Schneeschuhlaufen wird normales Wandern. Schon jetzt müssen Skigebiete für den gleichen Gast deutlich mehr bieten als früher. Grossen Gebieten gelingt das leichter. Das ist aber mit Zusatzaufwand verbunden. Dadurch ist aus dem Skifahren ein vielfältiges und teures Wintersportprodukt geworden.

Mit welchen Silver-Tourism-Angeboten könnte eine ältere Generation angesprochen werden?
Silver Ager sind ein spannendes Segment. Die heutige Generation hat bedingt durch die aktuelle Vorsorgesituation in der Regel genügend Geld und auch Zeit. Fitte 55- bis circa 70-Jährige brauchen entschleunigte Angebote. E-Bike-Aktivitäten sind perfekt für jene, die sich gern bewegen, aber nicht mehr ganz so leistungsfähig sind. Kultur-, Genuss- und Kulinarik-Erlebnisse sind gefragt. Gesundheitsprävention, Wellness, Ernährung sind weitere Themen. Die einen kann man über Naturerlebnisse, die anderen durch Bewegung abholen. Ein zweites Segment bilden jene Silver Ager, die ebenfalls Zeit und Geld haben, aber körperlich bereits etwas eingeschränkt sind. Sie brauchen barrierefreie Angebote und medizinische Leistungen. Dies ist ebenfalls ein spannender Markt. Hier stellt sich die Frage, wie man diese Gruppe anspricht.

Welches Potenzial hat dieses Segment aus Ihrer Sicht?
Wie sich dieser Markt bis in zehn, fünfzehn Jahren entwickelt, steht auf einem anderen Blatt. Durch die hohe Inflationsrate findet im Moment eine massive Umverteilung statt. Der Umwandlungssatz sinkt laufend. Eventuell ist dadurch bei den Silver Agern künftig weniger Geld vorhanden. Und wenn wir in Zukunft länger arbeiten bis zur Pensionierung, bleibt künftig vielleicht auch weniger Zeit. Wie interessant künftig der Silver Tourism bleibt, hängt stark von der wirtschaftlichen Entwicklung ab. Möglicherweise ist dieses Segment in Zukunft weniger attraktiv, als man heute denkt.

Jürg Stettler ist Leiter der Institut für Tourismus und Mobilität sowie Vizedirektor der Hochschule Luzern

Ueli Abt