Ab Juni 2023 fährt er viermal täglich direkt von Interlaken via Gstaad nach Montreux und umgekehrt: der neue Golden Pass Express. An Bord des Panoramazugs sind oft auch viele indische Passagiere und bestaunen die Landschaft.
«Der Markt Indien gehört bei uns zu den Top Five», so Frédéric Delachaux, Marketingleiter Montreux-Berner-Oberland-Bahn. Besonders auf den Empfang gelte es bei indischen Gästen zu achten. «Sie sind sehr anspruchsvoll, wenn es um Informationen zur Reise geht. Es ist wichtig, ihnen am Schalter gut zuzuhören und detailliert zu antworten.»
2,23 Nächte blieben die Gäste aus Indien 2019 durchschnittlich im Hotel.
Familie 12 Prozent nannten Familienfreundlichkeit als Hauptgrund für ihre Reise. 10,8 Prozent nannten Natur und 8,1 Prozent Schnee und Eis.
310 Franken gaben die Reisenden gemäss «Tourismus Monitor Schweiz 2017» im Schnitt täglich aus.
65,1 Prozent der indischen Gäste übernachten während ihrer Ferien im Hotel.
Auch sollte im Zug viel Platz fürs Gepäck da sein. Delachaux hält beim Markt Indien komplementäre Angebote und ein dichtes Netz für notwendig, um attraktiv zu sein. Zudem seien Produkte wie der Swiss Travel Pass, die mit einem Fahrausweis benutzbar sind, ein Wettbewerbsvorteil. Solche All-in-one-Angebote würden von indischen Gästen geschätzt. Einen zentralen Aspekt sieht Delachaux in den Kooperationen mit anderen regionalen Tourismusanbietern, mit Glacier 3000 und Montreux-Vevey Tourisme.
Das bringe konkrete Vorteile: «Indische Gäste wollen in der Schweiz mehrheitlich ein- bis zweimal eine Zugfahrt erleben und Schnee sehen. Mit unseren Kooperationen versuchen wir, die Reiseveranstalter für uns zu gewinnen, indem wir unsere Strecken optimal in die Reiseprogramme integrieren.» Erlebnisse wie Schloss Chillon oder Glacier 3000 anzubieten, sei ein Erfolgsfaktor.
Nicole Mermoud, Market Manager Montreux-Vevey Tourisme, sieht es ähnlich: Regionale Kooperationen hälfen ungemein. Glacier 3000 und Golden Pass Express seien Top-Produkte und brächten der Urlaubsregion Montreux Riviera viele indische Gäste. Doch worauf kommt es speziell für eine Städtedestination an? «Da indische Gäste oft mit der ganzen Familie reisen und auch alles zusammen erleben wollen, braucht es familienfreundliche Angebote.»
Beispiel: der neu eröffnete Fun Planet Kids. Ein bedeutendes Segment sind die Hochzeitsreisen. Viele indische Gäste kommen zum Heiraten an den Genfersee. Um den Bereich auszubauen, lädt Montreux-Vevey Tourisme regelmässig indische Hochzeitsplaner ein, damit diese sich von den Vorzügen der Region überzeugen können. «Der Hochzeitstourismus besitzt im Markt Indien viel Potenzial», sagt Mermoud.
Authentisches erleben und mit Schweizern plaudern
Zu den Highlights für indische Gäste im Gletschergebiet Glacier 3000 gehört die Hängebrücke Peak Walk, die den Vorgipfel des Scex Rouge mit dem Hauptgipfel verbindet. Instagramability spiele da aber keine Rolle, erklärt Félicien Rey-Bellet, Direktor Marketing & Sales. «Indische Gäste wollen ihre Fotos schiessen, aber nicht für Instagram. Es geht ihnen um authentische Erfahrungen. Sie sind stolz, als Inder in der Schweiz Urlaub zu machen, und mögen es, mit der Bevölkerung ein paar Worte zu wechseln.» Was noch auffällt: Indische Gäste wollen das komplette Erlebnis und buchen tendenziell mehr Zusatzaktivitäten als andere. Etwa den Alpine Coaster.
Der Markt Indien zählt mit jährlich 30 000 Gästen zu den wichtigsten internationalen Märkten. Rey-Bellet findet ihn aber nicht allein deswegen so interessant. «Vor allem hat Indien wegen seiner Saisonalität grosse Bedeutung für uns.» Die meisten indischen Gäste reisen zwischen April und Juni. Sie füllen eine Lücke, da sich der Schweizer Markt und die europäischen Märkte genau dann in der Nebensaison befinden. «Indien hilft uns, das operative Geschäft auf vier Saisons auszudehnen.»
2018 fand eine Indien-Kampagne zusammen mit Vaud Promotion und Schweiz Tourismus statt. Es gab ein Video mit dem indischen Filmstar Ranveer Singh, der unter anderem Hundeschlitten fuhr. «Bollywood-Celebritys eignen sich gut, unsere Destination via Social Media zu bewerben», so Rey-Bellet. Zudem wurden Anzeigen auf grossen Leinwänden in der Metropole Mumbai geschaltet. Rey-Bellet rät, sich bei solchen Werbemassnahmen mit anderen zusammenzuschliessen. Zudem brauche es eine ständige Kontaktstelle vor Ort. Seit 2010 hat Glacier 3000 eine Agentin in Mumbai, die bei indischen Reiseveranstaltern dafür wirbt, unter anderem das Gletschergebiet in ihre Routen aufzunehmen. Diese lokale Vertretung helfe, die Kundenbedürfnisse besser zu verstehen. Die Marktanteile hätten sich dadurch vergrössert.
Indische Hotelgäste: Vegetarisches Angebot
«Wir gehen bei jedem Gast auf dessen individuelle Wünsche ein, die Nationalität spielt da kaum eine Rolle», sagt Stefan Ludwig, Executive Assistant Manager Sales & Marketing «Gstaad Palace». In der Regel hat das Luxushotel nur wenige Gäste aus Indien, dennoch gibt Ludwig zwei Tipps: Bei indischen Gästen komme es gut an, wenn sich die Zimmer von zusammen reisenden, aber getrennt schlafenden Familienmitgliedern vorzugsweise nebeneinander oder wenigstens auf der gleichen Etage befänden. «Und sie reagieren positiv auf ein gut ausgebautes vegetarisches Angebot.» Solche Details sollten Hotels bei dieser Gästegruppe beachten.
Photo-Points einbauen, Missverständnisse vermeiden
Auch für Urs Kessler, Direktor Jungfraubahnen, ist Präsenz im Markt elementar. Er selbst reist regelmässig nach Indien. «Innovativ und kreativ können wir nur im direkten Austausch vor Ort sein. Es ist das beste Mittel, den Puls des Marktes zu spüren. So etwas ersetzt kein Online-Meeting.» Rund 70 Prozent der Besucher des Jungfraujochs, der höchsten Bahnstation Europas, stammen aus asiatischen Ländern, darunter viele indische Gäste. «Sie wollen die Bilderbuchschweiz mit Chalets, Blumenwiesen, Schnee und Eis sehen», sagt Kessler. Eben alles, was Bollywood-Filme zeigten. Kutschenfahrten und Snow-Fun-Aktivitäten kämen gut an. Tourenanbieter sollten genug Photo-Points einbauen. Nicht zu vergessen das Kulinarische. Im Restaurant Bollywood auf dem Jungfraujoch bereiten zwei indische Köche authentisches Essen zu: von Parantha über Chana Masala bis Vegetable Curry. Ein wichtiges Angebot, so Kessler: «Anders als japanische möchten indische Gäste essen wie zu Hause. Experimente gehen sie nicht so gern ein.» Was sich aber ändern könnte. Bei seiner letzten Indien-Reise im Herbst 2022 registrierte Kessler eine grössere kulinarische Offenheit. «Es kann gut sein, dass unsere indischen Gäste künftig auch einmal bereit sind, typische Schweizer Kost auszuprobieren.»
[IMG 3]
Wichtig sei es auch, Missverständnisse zu vermeiden. «Wir haben regelmässig Workshops organisiert, um das Verständnis der lokalen Bevölkerung und unserer Mitarbeitenden für die kulturellen Eigenheiten bestimmter Gästegruppen zu fördern.» Unter anderem auch der indischen Gäste. Diese stellten viele Fragen und wollten viel wissen. «Wer darauf vorbereitet ist, wird auch nicht so rasch ungeduldig», rät Kessler. Letztlich sollten sich beide Seiten, Gastgeber und Gäste, ihrer Eigenheiten bewusst und bereit sein, einander zu verstehen. Indische Gäste hätten früher ab und an verhandeln wollen. Urs Kessler: «Inzwischen akzeptieren sie unsere Verkaufspreise an den Bahnschaltern und in den Top-of-Europe-Shops.»
Beim Marketing setzen die Jungfraubahnen auf Social-Media-Kampagnen in englischer Sprache. «Wir schicken gezielt schöne Bilder in die Welt. So sind viele potenzielle indische Gäste erreichbar.» In Indien funktionierten Instagram und Social-Media-Marketing via Influencer sehr gut. Auch hier spielt der Bollywood-Faktor eine Rolle. Derzeit läuft die Netflix-Serie «The Romantics» über den verstorbenen indischen Filmregisseur Yash Chopra, der viele Szenen in den Schweizer Bergen drehen liess. Auf seinen Namen wurde 2011 ein Zug der Jungfraubahnen getauft. Bei «The Romantics» kommen nun auch wieder Berg- und Schneelandschaften der Region vor. Die Jungfraubahnen haben deswegen Instagram-Reels zur Serie geschaltet. Mit der Reichweite ist Kessler sehr zufrieden: Die kurzen Videoclips hatten viele zehntausend Klicks.
Nachgefragt
Im Minivan durchs Land
Rayo Choksi vertritt die Titlis-Bergbahnen in Indien. Neben Jungfrau und Glacier 3000 gehört der Titlis zu den international vermarkteten Snow Mountains of Switzerland. [IMG 2]
Herr Choksi, besitzt der Markt Indien ein grosses Potenzial für den Schweizer Tourismus?
Unbedingt. Die indische Mittelklasse wächst schnell – und damit die Zahl von Inderinnen und Indern, deren Einkommen Reisen nach Europa erlaubt. Darum werden indische Gäste auch von Tourismusorganisationen vieler Länder umworben – es gibt einige Konkurrenz. Die Schweiz hat da den Vorteil, ein ultimatives Sehnsuchtsreiseziel zu sein. Leider haben wir hier in Indien in der Hauptsaison immer ein Problem: Die knappen Sitzplatzkapazitäten der Airlines reichen kaum, alle Reisewilligen in die Schweiz zu bringen.
Ist die Zeit von April bis Juni immer noch Hauptreisezeit?
Nicht mehr. Die Nebensaison hat stark zugelegt. Indische Gäste kommen mittlerweile bis in den Oktober hinein. Mager sieht es dagegen weiterhin im Zeitraum November bis März aus. Dann ist es sehr kalt in der Schweiz, es gibt wenig Sonnenstunden. Da zieht es indische Gäste woandershin. Zwar gab es Winterkampagnen, aber da Indien keine Skination ist, trugen diese Bemühungen keine Früchte.
Was sollten Hotels bei indischen Gästen beachten?
Die meisten Inder sprechen gut Englisch, aber ein einfaches «Namaste» zur Begrüssung schätzen sie durchaus. Was den Service angeht, so haben indische Gäste hohe Ansprüche. Das hat mit den billigen Arbeitskräften im eigenen Land zu tun. Indische Gäste gehen davon aus, dass ihnen auch auf Reisen der Page die Koffer aufs Zimmer bringt. Da sind die Reiseveranstalter gefragt. Sie sollten vorab informieren, dass in der Schweiz bestimmte Dinge selbst zu erledigen sind. Dann gibt es auch keine Missverständnisse.
Indische Gäste reisen oft im Familienverbund. Gibt es da neue Entwicklungen?
Ja, wir haben vermehrt grössere Familien bis 12 Personen, die zusammen im Minivan unterwegs sind. Dieser Trend hat sich nach der Pandemie verstärkt. Indische Familien buchen auch immer öfter Apartments, weil sie dort ihr Essen selber kochen können. Destinationen sollten passende Unterkünfte haben.
Wie sieht es beim Rahmenprogramm aus?
Es darf nicht zu anstrengend werden, darauf sollten Veranstalter achten. Indische Gäste mögen eher leichte Aktivitäten. «Leicht» bedeutet: nicht biken, aber elektrobiken schon. Auch Seilbahnfahrten und sogar Paragliding sind beliebt.
Ist indische Kost immer Pflicht?
Bei Gruppenreisen auf jeden Fall. Die Anbieter sollten unbedingt auch zum Frühstück indisches Essen anbieten. Es ist einer der Hauptgründe, an solchen Reisen überhaupt teilzunehmen. Jedoch reicht es nicht, irgendwie indisch zu kochen. Vielmehr müssen die Köche die indische Küche sehr gut kennen. Das Essen muss absolut authentisch sein. Den Unterschied registrieren indische Gäste genau.
Haben Sie noch einen Tipp?
Ja, aus dem Bereich Social Media. Da die Schweiz ein kleines Land ist, können sich Kampagnen eines Anbieters auch positiv für andere auswirken. Nehmen wir den Titlis: Er ist zentral gelegen und bei einer Tagestour von fast jedem Ort der Schweiz aus erreichbar. Indische Gäste lieben es, im Land herumzukommen. Daher kann eine Social-Media-Kampagne des Montreux Jazz Festival indische Gäste auch für ein paar Stunden zum Titlis bringen. Es ist immer gut, diese Zusammenhänge zu kennen.